Autorwowigang

Die bessere Hälfte

Von Kerstin Wolter und Alex Wischnewski

Zuerst erschienen bei taz, 31.08.2019

In den Debatten über die anstehenden Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen und über die Stärke der AfD erfährt die Figur des Ossis eine regelrechte Renaissance. Unmittelbar werden Bilder von Männern vor dem inneren Auge heraufbeschworen, kurzhaarig, miesepetrig, korpulent – Männer, die sich leicht einfangen ließen von rechten Versprechungen. Der Ossi habe schließlich einen Hang zum Autoritären. Erst der Kaiser, danach der Führer und schließlich die Diktatur des Proletariats.

Wer etwas differenzierter schaut, erkennt im Ossi immerhin einen Wendeverlierer, dem nicht nur die Arbeit genommen wurde, sondern auch Würde. Und trotzdem bleibt der Blick auf die – durch und durch – männliche Figur des Ostdeutschen gerichtet.

Dabei traf die Wende die Frauen ungleich stärker. Mehr noch als Arbeit und Würde verloren sie eine Gleichberechtigung, wie sie den meisten Frauen bis heute verwehrt bleibt. Umso eindrücklicher, dass insbesondere ostdeutsche Frauen ihr Schicksal drehten, während ihre männlichen Mitbürger häufiger auf die AfD bauen. Es lässt sich sogar behaupten, dass die Auseinandersetzung zwischen autoritär und liberal, zwischen rechts und links auch eine ist, die zwischen den Geschlechtern stattfindet.

Klar, auch in der DDR waren Frauen nicht vollständig gleichberechtigt, haben den Großteil der Hausarbeit und der Kindererziehung erledigt. Aber man muss – neben aller notwendigen Kritik an einem autoritären Staat – konstatieren, dass die Frauen in der DDR an vielen Stellen rechtlich und sozial bessergestellt waren als die Frauen in Westdeutschland. Sie gingen selbstverständlich einer Arbeit nach, führten Betriebe und den Haushalt – selbst der Sex im Osten soll besser gewesen sein.

In der DDR wurde der Grundsatz der erwerbstätigen Frau durch sozialpolitische Entscheidungen möglich. Am bekanntesten ist der Ausbau von Kindergärten und -krippen, aber auch die geschlechtsspezifischen Arbeitsstandards waren besser. Das blieb nicht ohne Folgen: 1989 waren 91 Prozent der Frauen berufstätig. In Westdeutschland waren es zur gleichen Zeit nur knapp die Hälfte.

Bis die Wende kam. Deren ökonomische Folgen sind auch 30 Jahre später noch spürbar. Schätzungen zufolge haben nach der Wende 80 Prozent der Ostdeutschen zeitweise oder dauerhaft ihren Job verloren. Die Frauen traf es trotz der formalen Gleichberechtigung am härtesten. 1994 waren doppelt so viele Frauen wie Männer erwerbslos. Vor allem die Abwicklungen im produzierenden Gewerbe, organisiert durch die Treuhand, gingen in erster Linie zulasten der Frauen. Man könnte meinen, dass der Westen dem Patriarchat im Osten ein Comeback bescherte. Man kann sich aber auch fragen, ob es jemals aufgehört hatte zu existieren. Es verwundert deshalb nicht, dass Frauen den Osten nach der Wende scharenweise verließen. Heute gibt es nicht wenige Gegenden, in denen ein Viertel mehr Männer leben als Frauen.

„Retraditionalisierungsschub“ unter jungen Ostfrauen

Eine Trendwende ist trotz des zunehmenden Zuzugs von Frauen in ostdeutsche Großstädte nicht zu erkennen. Doch die Gründe für die anhaltende, wenn auch gemäßigtere Abwanderung von Frauen haben sich gewandelt. War es in den 90er Jahren die Not auf der Suche nach Arbeit, so verlassen Frauen den Osten heute aufgrund mangelnder Infrastruktur und eines tief sitzenden Konservatismus, gerade auch in den männlich dominierten Chefetagen.

Wenn aber viele Frauen gehen, wer soll diese Strukturen aufbrechen und die Interessen der Frauen noch vertreten? Genau dieses Dilemma drückt sich im Aufschwung der AfD im Osten Deutschlands aus. Die AfD ist eine Männerpartei. Ihr Frauenanteil liegt bei 15 Prozent, und ihre Programmatik ist in weiten Teilen antifeministisch und frauenfeindlich. Unbestritten gibt es auch Frauen, die sich von der AfD und ihrem Programm angesprochen fühlen. Es ist ein alarmierendes Zeichen, dass eine vor Kurzem erschienene Studie einen „Retraditionalisierungsschub“ unter jungen Ostfrauen feststellte. Doch trotz der Ambivalenzen ist das Ergebnis aktuell noch mehr als deutlich: Egal ob bei Bundestagswahlen oder den Landtagswahlen im Osten – der Abstand zwischen weiblichen und männlichen AfD-Wählern ist enorm.

Diese starke Tendenz mag auch daran liegen, dass sich viele Frauen nach dem Ende der DDR rascher aufgerafft und zu ihrem früheren Selbstbewusstsein zurückgefunden haben, statt leeren Reden zu folgen. Ostdeutsche Frauen sind an den Spitzen von Wirtschaft, Politik und Justiz sogar erfolgreicher als Westfrauen. So sind in den Führungsetagen der 30 größten DAX-Unternehmen Deutschlands zwar insgesamt nur vier Ostdeutsche vertreten, davon sind jedoch drei Frauen. Das sind ganze 75 Prozent.

Der Anteil von westdeutschen Frauen unter westdeutschen Führungskräften beträgt lediglich 10 Prozent. Und auch in der Politik liegen ostdeutsche Frauen klar vor ihren westdeutschen Schwestern. Ostdeutsche Politikerinnen wie Angela Merkel, Manuela Schwesig, Katrin Göring-Eckardt, Sarah Wagenknecht oder Katja Kipping stehen heute an der Spitze ihrer Parteien und Bundestagsfraktionen. Sie sind gleichzeitig die Hassfiguren der neuen Rechten.

Doch trotz dieser Erfolgsgeschichten bleiben die ostdeutschen Spitzenfrauen meist unter sich. Bis heute verlassen sie eher die ostdeutsche Heimat, als sich mit den zurückbleibenden Männern anzulegen. Denjenigen, die bleiben und es dennoch tun, fehlt es bisher an ausreichend Rückhalt aus der Bevölkerung. Ein Aufruf zur feministischen Remigration des Ostens kann zwar nicht die Lösung sein. Den Osten der AfD und Pegida zu überlassen, aber auch nicht.

Bereits zu Beginn der 1990er Jahre scheiterte der Versuch einer neuen gesamtdeutschen Frauenbewegung an unterschiedlichen Vorstellungen und verlorenen Kämpfen. Angesichts eines drohenden Faschismus: Wäre es da nicht an der Zeit für einen neuen Aufbruch in diese Richtung? So ein Aufbruch würde am Ende übrigens allen nützen, nicht nur den Frauen im Osten.

Frauenstreik: Einfach machen

Von Kerstin Wolter und Alex Wischnewski

Zuerst erschienen bei Ada Mag, 24.05.2019

Wir befinden uns im Jahre 2018 n. Chr. Auf der ganzen Welt drängen Rechte und Neoliberale die progressiven Kräfte in die Defensive… Alle? Nein! Eine immer größer werdende Gruppe unbeugsamer Frauen* hört nicht auf, ihnen Widerstand zu leisten. In vielen Ländern riefen sie dieses Jahr am 8. März zum feministischen Streik auf – und das nicht zum ersten Mal. Allein in Spanien folgten dem Appell über fünf Millionen. Woran liegt es, dass gerade Frauen sich in diesen Zeiten vernetzen und an vielen Orten auf die Straße gehen? Die neue Stärke der Bewegung liegt an keinem wundersamen Zaubertrank. Sie ergibt sich aus der spezifischen Rolle, die Frauen in unseren Gesellschaften einnehmen.

Frauen stehen zunächst einmal – entgegen der landläufigen Meinung – an einer zentralen Stelle im Produktionsprozess. Nicht nur arbeiten die meisten Frauen im Dienstleistungssektor, der in Deutschland inzwischen 70 Prozent der Bruttowertschöpfung ausmacht. Auch außerhalb der Lohnarbeit übernehmen Frauen noch immer den größten Teil der Erziehungs-, Pflege- und Hausarbeit, ohne die niemand seine Haut überhaupt zu Markte tragen könnte.

Hier steckt ein großes Druckpotenzial auf Politik und Kapital. Das Motto des Streiks in Spanien war deshalb nicht umsonst „Si nosotras paramos, se para el mundo“ – „Wenn wir streiken, steht die Welt still“. Für ihre Arbeit erhalten Frauen kein oder vergleichsweise wenig Lohn. Das liegt im Kapitalismus am Interesse des Kapitalisten, die Kosten für die „Reproduktion der Ware Arbeitskraft“, also die Erholung und Pflege unserer Körper und die Sorge um die kommenden Arbeiterinnen, unsere Kinder, möglichst gering zu halten. Dass sich Frauen das weltweit viel zu häufig gefallen lassen, hängt wiederum mit ihrem gesellschaftlichen Status zusammen. Kapitalistische Ausbeutung lässt sich nicht trennen von weiblicher Gewalterfahrung und rassistischer Diskriminierung. Die neuen Angriffe auf die Rechte und die Eigenständigkeit von Frauen geschehen nicht zufällig im langen Schatten der ökonomischen Krise, die 2008 begann und vielerorts immer noch täglich spürbar ist. So treffen neoliberale und autoritäre Politiken Frauen – vor allem migrantische Frauen – am stärksten.

Kurzum: Frauen haben heute vielerorts einfach nichts mehr oder zumindest sehr viel weniger zu verlieren als Männer und treten deshalb die Flucht nach vorne an. Vielleicht bilden sie in der heutigen Zeit sogar jene von Marx beschworene „Klasse mit radikalen Ketten (…) welche sich nicht emanzipieren kann, ohne sich von allen übrigen Sphären der Gesellschaft und damit alle übrigen Sphären der Gesellschaft zu emanzipieren, welche mit einem Wort der völlige Verlust des Menschen ist, also nur durch die völlige Wiedergewinnung des Menschen sich selbst gewinnen kann“. Ein neues Proletariat also.

Die Idee eines Frauen*streiks scheint deshalb auch so vielen sofort einsichtig und breitet sich derzeit immer weiter aus. So auch in Deutschland, wo die Vorbereitungen für einen Streik am 8. März 2019 in diesem Jahr begonnen haben. Die Aktivistinnen können sich dabei auch auf die Organisierungsarbeiten von Bündnissen zum Frauen*kampftag stützen, die in verschiedenen Städten in Deutschland in den letzten Jahren geleistet wurde. Der Frauenstreik soll die Demonstrationen, an denen am vergangenen 8. März allein in Berlin 10.000 Menschen teilgenommen haben, nicht ersetzen, sondern ergänzen und weitertreiben. Man kann es auch so sehen: nach langen Zeiten der Verhandlungen, sind wir jetzt bereit für die nächste Eskalationsstufe.

Dabei ist ein Frauenstreik immer nur Mittel zum Zweck und kein Zweck an sich. Schließlich geht es uns nicht nur darum, sichtbar zu werden, sondern um eine grundlegende Veränderung dieser Gesellschaft. Doch trägt in diesem Falle bereits die Form des Streiks mehrere Eigenwerte in sich.

Politischer Streik

So fordert der Frauenstreik etwa das in Deutschland geltende Verbot politischer Streiks heraus. Ob dieses Verbot überhaupt gilt, ist schon lange umstritten und wurde immer wieder von Arbeiterinnen infrage gestellt. Gemeinhin gilt, dass der Arbeitskampf den falschen Adressaten treffe, wenn sich die politischen Forderungen an den Staat und nicht allein an den Arbeitgeber richten würden. Es gibt aber Interpretations- und Handlungsspielräume. Nicht nur Marxistinnen verweisen darauf, dass Politik und Ökonomie vielfältig miteinander verwoben sind. Außerdem haben im Kapitalismus verschiedene Gruppen unterschiedlich großen Einfluss auf die Politik – die Lobby der Automobilindustrie beeinflusst die politischen Entscheidungen der Regierung stärker als ein Verein zur Stärkung der Rechte von Sexarbeiterinnen.

Diese unterschiedlichen Einflussmöglichkeiten sind ökonomisch bestimmt. Andere Stimmen verweisen darauf, dass das Verbot des politischen Streiks internationalen Abkommen widerspreche, die Deutschland unterzeichnet hat. In Gewerkschaften wie etwa ver.di, GEW oder IG BAU wird daher immer mal wieder die Forderung erhoben, das Recht auf politische Streiks ins Grundgesetz aufzunehmen. Zögerlich sind diese Debatten und versanden schnell. Jetzt sind es die Frauen, die das Thema wieder ganz praktisch auf die Tagesordnung setzen. Sie könnten damit auch der althergebrachten „Arbeiterbewegung“ (sic!) einen Dienst erweisen.

Unbezahlte Hausarbeit

Zum anderen betonen Feministinnen seit langer Zeit, dass Arbeit nicht nur die bezahlte Arbeit umfasst, sondern auch die unbezahlte Pflege-, Erziehungs- und Hausarbeit, sowie all die zahlreichen emotionalen Unterstützungsleistungen oder unsichtbaren Handgriffe in Vereinen oder Initiativen, in denen wir uns engagieren. Silvia Federici hat deshalb darauf hingewiesen, dass es noch nie einen wirklichen Generalstreik gegeben habe, da Frauen diese Tätigkeiten währenddessen niemals hätten ruhen lassen. Ein feministischer Streik zielt deshalb nicht nur auf die Arbeit in entlohnter Form, sondern in gleichem Maße auf all jene unentlohnten Bereiche. Das ist so neu, dass dafür ganz neue Formen und Ausdrucksweisen  gefunden werden müssen. Kollektive Kinderbetreuung an öffentlichen Plätzen oder selbstentworfene Überlastungsanzeigen pflegender Angehöriger sind nur erste Ideen. Auch die Spanierinnen haben für die Bereiche Lohnarbeit, Hausarbeit, Bildung und Konsum einige Vorschläge gemacht, an die wir anknüpfen können. Das Mittel des Streiks dient auch hier dazu, den theoretischen Auseinandersetzungen über die Ausweitung des Arbeitsbegriffs Form zu geben und sie selbst besser zu verstehen.

Darüber hinaus bietet der Streik eine neue Chance, gemeinsam etwas zu tun – egal welchen Hintergrund jemand hat. Für gewöhnlich ist es schwierig die Forderung zu finden, die alle vereint. Das ist verständlich, denn Frauen machen ganz unterschiedliche Erfahrungen und haben deshalb auch unterschiedliche vordringliche Probleme und Anliegen. Für viele steht die ökonomische Aufwertung ihrer Jobs im Vordergrund, für andere die Ausweitung des Aufenthaltsrechts, für wieder andere die Änderung des aktuell diskriminierenden Transsexuellengesetzes oder das Recht auf sichere Schwangerschaftsabbrüche.

Der feministische Streik kann diese Kämpfe solidarisch miteinander verbinden, weil sie gleiche Ursprünge haben. Wenn wir als weiße Frauen mit deutschem Pass für die Legalisierung aller Illegalen streiten, dann ist dies kein Stellvertreterinnenkampf. Es ist der Kampf gegen ein System der Verwertung und Konkurrenz, der Ausgrenzung und Abwertung, das uns genauso trifft – selbst wenn nicht mit der gleichen Konsequenz. Im Frauenstreik sollen die Unterschiedlichkeiten zu einer gemeinsamen Stärke werden im Kampf gegen eine autoritäre, neoliberale, sexistische und rassistische Politik. Andere diskutieren seit zwei Jahren über eine neue Klassenpolitik, wir Frauen machen sie einfach.

*Mit der Schreibweise Frauen* sind alle Menschen gemeint, die sich als Frauen* definieren oder die als Frauen* definiert werden, also auch trans*- und intersexuelle Personen. Das Sternchen soll dabei nicht zwischen unterschiedlichen Frauen* unterscheiden, sondern zeigen, dass es sich um eine Identität mit unklaren Rändern, aber sozialer Realität handelt.

Der 8. März ist erst der Anfang

Von Kerstin Wolter und Alex Wischnewski

Zuerst erschienen bei Missy Magazine, 01.03.2019

Vielleicht hat die*der eine oder andere schon davon gehört, dass an diesem 08. März ein Frauenstreik organisiert wird. Von Jena nach Witzenhausen und von Höxter nach München haben sich lokale Netzwerke und Streikgruppen gebildet. Aber was soll das eigentlich sein, so ein Frauenstreik? Wer streikt da und was oder wer wird bestreikt?

Die Gründe für einen feministischen Streik sind fast so vielfältig wie die Frauen und Queers, die ihn vorbereiten. Noch immer verdienen Frauen im Schnitt 20 Prozent weniger als Männer, sie gehen viel häufiger in Teilzeitjobs, wenn sie Kinder bekommen, und sie sind häufiger von Altersarmut betroffen. Und ihnen wird nicht einmal zugestanden, freien Zugang zu Informationen zu erhalten, wenn sie eine ungewollte Schwangerschaft beenden müssen. Warum stehen also gerade jetzt Frauen und Queers weltweit gegen diese Zustände auf?

Frauen und Queers werden zwar weiterhin auf besonders üble Weise ausgebeutet und abgewertet, mittlerweile sitzen sie aber an den entscheidenden Schaltstellen der Ökonomie. Und auch die Politik ist immer weniger nur Männersache. Das mag erst mal bei einer sinkenden Frauenbeteiligung im Bundestag und einem scheinbar männerdominierten Arbeitsmarkt absurd klingen. Der Anteil der erwerbstätigen Frauen ist aber in den letzten Jahrzehnten immer weiter angestiegen. Der Haken ist, dass sie weiterhin den Großteil der nicht entlohnten Sorge-, Erziehungs- und Haushaltstätigkeiten übernehmen. Was aber auf der einen Seite zu einer zunehmenden Doppelbelastung führt, ist auf der anderen Seite ein riesengroßer Machtfaktor. Würden alle Frauen auf einmal all diese nicht entlohnten, häufig unsichtbaren Arbeiten niederlegen, würde das ganze System ins Wanken geraten. Denn niemand könnte überhaupt nur einen Schritt Richtung Lohnarbeitsplatz machen ohne all die Care-Arbeit, die Frauen und Queers leisten.

Eben deshalb wird bei einem feministischen Streik nicht nur die entlohnte, sondern auch die nicht entlohnte Arbeit bestreikt. Das Ziel ist aber dabei nicht, einzelne Männer – den Partner, den Kollegen und einzelne Vorgesetzte – individuell unter Druck zu setzen. Der Streik kann aber Ausgangspunkt dafür sein, eine Diskussion über ungleich verteilte Arbeiten anzustoßen – auch in heterosexuellen Paarbeziehungen.
Ziel ist es, auf lange Sicht das ganze System, das auf der Ausbeutung, Unterdrückung und Entrechtung von Frauen und Queers beruht, zum Einsturz zu bringen. Frauen und Queers auf der ganzen Welt haben lange genug für mehr Rechte verhandelt. Neue und alte Rechte scharen bereits mit den Hufen, wenn es darum geht, bereits erkämpfte Rechte erneut einzuschränken. Es ist nur folgerichtig, wenn wir anfangen, uns zu wehren – wie es Frauen und Queers auf der ganzen Welt bereits tun. Allein in Spanien sind am 08. März 2018 über sechs Millionen Menschen in den feministischen Streik getreten.

Doch bevor wir überhaupt richtig angefangen haben, versucht schon so mancher aus der klassischen Streikbewegung, Frauen und Queers das feministische Streikrecht abzuerkennen. Dann heißt es, Care-Arbeit zu bestreiken, sei ein rein symbolischer Streik und gar keine „richtige“ Arbeitsniederlegung. Im Umkehrschluss ist Care-Arbeit also keine richtige Arbeit? Wohl kaum. Dazu kommt, dass in Deutschland ein politischer Streik – also Arbeitsniederlegungen, deren Forderungen sich nicht direkt an den Arbeitgeber richten – verboten ist. Trotzdem wird es am 08. März bundesweit unzählige Streikaktionen geben. Täglich werden neue Aktionen geplant und es entstehen neue Netzwerke. Auf der letzten bundesweiten Streikversammlung haben sich die anwesenden Frauen und Queers auf drei zentrale Ausdrucksformen und Aktionen geeinigt:

  1. Die Farbe Lila ist unsere Farbe.
  2. Wir wollen dezentral und zentral um 5 vor 12 vor unsere Wohnungen, Häuser, Betriebe und Büros gehen und uns auf einen Stuhl setzen, um unseren Streik zu demonstrieren.
  3. Wir wollen um 17 Uhr in ganz Deutschland als Teil eines globalen Aufschreis unsere Wut hinausschreien. Egal, ob zu Hause, auf einer der vielen Demonstrationen oder Kundgebungen oder zusammen mit den Kolleginnen auf der Arbeit. Frauen in vielen anderen Ländern werden es uns gleichtun. Auch in der Lohnarbeit wird ganztags gestreikt, so legen beispielsweise die Frauen und Queers am Maxim Gorki Theater in Berlin die Arbeit nieder.

Dieses Jahr werden Frauen und Queers das Land vielleicht noch nicht lahmlegen. Noch haben nicht alle von dem Streik gehört. Aber der erste Schritt hin zu einem Frauenstreik ist es, anzufangen, darüber zu reden. Die Frauenstreikbewegung ist ein Prozess des Widerstands, keine einmalige Aktion. Der 08. März ist erst der Anfang.

Eine feministische Internationale. Wie Frauen* sich über Grenzen hinweg organisieren

Von Kerstin Wolter und Alex Wischnewski

Zuerst erschienen in Zeitschrift LuXemburg, März 2019

Die Bilder des 8. März 2018 in Spanien lösten in ganz Europa Staunen und Begeisterung aus. Es waren mehrheitlich Frauen und Queers jeden Alters, die die Straßen in lila Ströme verwandelten, Universitäten besetzten, Versammlungen abhielten und fröhlich singend öffentliche Verkehrsmittel stoppten. Rund fünf Millionen beteiligten sich im ganzen Land an einem feministischen Streik. Bezahlte wie unbezahlte Arbeit wurde niedergelegt. Damit war es nicht nur die größte feministische Mobilisierung, sondern auch der größte Streik, den Europa bis dato gesehen hatte (Lorey 2019).

Das Ereignis war kein Zufall. Schon in den Jahren zuvor hatte es große feministische Demonstrationen in Spanien gegeben. 2014 verhinderten Frauen eine Verschärfung der Abtreibungsgesetze, 2015 stießen Social-Media-Kampagnen und Demonstrationen eine gesellschaftliche Debatte über Gewalt gegen Frauen an und auch die Proteste am 8. März erhielten kontinuierlich mehr Zulauf.

Gleichzeitig war der Streik in Spanien in eine internationale Bewegung eingebettet. Am 3. Oktober 2016 hatten Frauen in Polen zum Streik am sogenannten czarny poniedziałek (Schwarzer Montag) aufgerufen und damit ein faktisches Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen abgewendet. Sie beriefen sich dabei auf den Streik in Island am 24. Oktober 1975, an dem sich 90 Prozent der arbeitenden Frauen beteiligt hatten. Diesen Impuls griff das feministische Kollektiv NiUnaMenos (Nicht eine weniger) aus Argentinien auf, das im Jahr zuvor Hunderttausende gegen Femizide (Frauenmorde) auf die Straße gebracht hatte. Es rief nur wenige Tage später in Reaktion auf einen besonders grausamen Femizid zum einstündigen Frauenstreik auf, den sie miércoles negro (Schwarzer Dienstag) nannten. Bereits am 8. März 2017 war der Streik an vielen Orten als Instrument der Frauenbewegung wiederentdeckt worden. Er befördert seither den Austausch unter Feminist*innen weltweit: in der Planung eines internationalen Streiktages am 8. März 2019, an dem auch in Deutschland zum ersten Mal seit 25 Jahren ein Frauen*streik geplant ist, aber auch in Kämpfen über das Jahr hinweg. Die Massenproteste gegen sexualisierte Gewalt an Chiles Universitäten im vergangenen Juni, die Demonstrationen gegen die Kandidatur des faschistischen und frauenfeindlichen Präsidenten Jair Bolsonaro in Brasilien im September oder der Streik der weiblichen Stadtbeschäftigten für Entgeltgleichheit in Glasgow im Oktober zeugen davon. Diese und weitere Ereignisse fanden unter Feminist*innen weltweit Resonanz. Es gab wechselseitige Solidarität und den Versuch, aneinander anzuknüpfen.

Wir können also derzeit von einer internationalen feministischen Bewegung sprechen, die ungestüm und ungezähmt weiterwächst. Es lohnt sich, genauer zu betrachten, warum gerade jetzt Frauen in so vielen Ländern aufstehen und sich über kulturelle und staatliche Grenzen hinweg bestärken. Gibt es in Zeiten immer größer werdender Fragmentierung einen neuen gemeinsamen Nenner unter Frauen?

Perspektivisch knüpft sich daran die Frage, wie es mit dieser weltweiten Bewegung weitergeht. Wie lassen sich die jetzigen Abwehrkämpfe offensiv wenden und wirkliche Veränderungen durchzusetzen? Braucht es dafür eine feministische Internationale im Sinne einer festen Organisationsstruktur mit verbindlichen Entscheidungsmodi oder finden Frauen heute neue, vielfältige und unregulierte Formen der langfristigen Zusammenarbeit auf internationaler Ebene?

Globale Trends: Neoliberalismus und Aufstieg der Rechten

International ist nicht nur die Frauenbewegung: Der neoliberale Kapitalismus wurde seit dem Modellprojekt in Chile in fast jedem Land der Erde implementiert und hat zu Privatisierungen, zum Abbau sozialer Sicherungssysteme und zur zunehmenden Entrechtung von Arbeitnehmer*innen geführt. Kapitalströme verlaufen über den gesamten Erdball. Die Pleite einer US-amerikanischen Bank führte 2008f. zur größten Weltwirtschaftskrise seit 1929 und griff tief in das Leben vieler Menschen ein, die keine Möglichkeit mehr sahen, politischen Einfluss zu nehmen. An diese Ohnmacht knüpft die politische Rechte an, indem sie die Wiederherstellung von Souveränität in den eigenen nationalen Grenzen verspricht. In diesem Ordnungs- und Sicherheitsdenken spielt häufig auch die Anrufung scheinbar natürlicher Geschlechterrollen eine zentrale Rolle, wobei besonders die Rechte von Frauen und Queers unter Beschuss geraten. So kündigte etwa der brasilianische Präsident Bolsonaro in seiner Amtsantrittsrede Anfang 2019 den Kampf gegen die „Gender-Ideologie“ an. Ähnliches hört man auch von rechten Parteien in Europa, ob in Österreich von der FPÖ, in Frankreich vom Rassemblement National oder in Deutschland von der AfD. Björn Höckes berühmt gewordene Rede 2015 in Erfurt, in der er die Wiederentdeckung der Männlichkeit als Voraussetzung für eine „Wehrhaftigkeit“ des Volkes bezeichnete, ist nur ein besonders hervorstechendes Beispiel.

Es gleichen sich nicht nur die Effekte des weltumspannenden Neoliberalismus, sondern auch die Kernelemente der rechten Antworten darauf. Diese erschöpfen sich schon lange nicht mehr in leeren Drohungen. Der gesellschaftliche und politische Rechtsruck ist in vielen Ländern so weit fortgeschritten, dass die Rechte von Frauen und Queers effektiv beschnitten wurden oder solche Rückschritte als reale Möglichkeit im Raum stehen. In Polen und Spanien droht das Recht auf Schwangerschaftsabbruch eingeschränkt zu werden, in vielen anderen Ländern wie in Italien oder Deutschland wird der Zugang dazu immer schwieriger. Fakultäten für Genderwissenschaften, Gleichstellungsministerien und Frauenberatungsstellen werden abgeschafft. Für viele Frauen und Queers spitzt sich dadurch eine ohnehin immer prekärere Lebenssituation weiter zu.

Die Macht der Frauen

Obwohl die Frauenerwerbsquote in den Ländern der Europäischen Union seit 1997 von 55 auf 65 Prozent gestiegen ist (Eurostat 2017a), verdienen Frauen immer noch durchschnittlich 16,3 Prozent weniger als Männer (Eurostat 2017b). Deutschland bildet mit rund 21 Prozent in dieser Hinsicht eines der Schlusslichter (Statistisches Bundesamt 2018a). Diese Ungerechtigkeit rührt auch daher, dass viele frauentypische Jobs schlecht bezahlt sind. 27,1 Prozent der vollzeitbeschäftigten Frauen arbeiten im Niedriglohnbereich, gegenüber 16,2 Prozent der Männer (Statistisches Bundesamt 2018b). Doch obwohl immer mehr Frauen erwerbstätig sind, leisten sie in Europa auch weiterhin den Großteil der nicht entlohnten Haus-, Erziehungs- und Pflegearbeit. Europaweit gaben 79 Prozent der Frauen an, täglich zu kochen oder andere Hausarbeiten zu leisten, im Gegensatz zu 34 Prozent der Männer. In Deutschland liegt das Verhältnis bei 72 Prozent zu 29 Prozent (Eurostat 2018). Kürzungen bei den sozialen Diensten und Infrastrukturen in ganz Europa, forciert durch die Austeritätspolitik des letzten Jahrzehnts, wurden deshalb insbesondere von Frauen aufgefangen (vgl. Rosa-Luxemburg-Stiftung 2018). Ihre doppelte Belastung spitzt sich also zu, ohne dass sie durch die hinzugewonnene ökonomische Eigenständigkeit aufgewogen werden könnte. Sicher, manche Frauen können sich Entlastung erkaufen. Doch die häufig migrantischen Haushaltshilfen ändern nichts an der geschlechtlichen Arbeitsteilung, sondern verlagern lediglich die Betreuungsaufgaben an sozial marginalisierte Frauen und zwar über staatliche Grenzen hinweg.

Diese ökonomische Anordnung wird unterstützt durch die anhaltende Schlechterstellung von Frauen in der Gesellschaft, die sich durch alle Bereiche zieht: durch Politik, Recht, Religion, Sprache, Sexualität und vieles mehr. Sie drückt sich auf grausamste Weise aus in Diskriminierung und Sexismus, in Missbrauch und Gewalt in der Familie, am Arbeitsplatz oder im öffentlichen Raum. Jede dritte Frau in der EU hat körperliche oder sexuelle Gewalt erfahren (Agentur der Europäischen Union für Grundrechte 2014). Es fehlen systematische Analysen, doch es gibt Anzeichen dafür, dass geschlechterspezifische und insbesondere häusliche Gewalt in Zeiten ökonomischer Krisen zunimmt (Campbell 2003 et al.).

Dass Frauen sich diesen Angriffen heute so vehement und massenhaft entgegenstellen, ist aber nicht allein darauf zurückzuführen, dass ihre Rechte bedroht werden und die eigene Prekarität zunimmt. Dank der feministischen Errungenschaften des letzten Jahrhunderts nehmen Frauen wie nie zuvor in der Geschichte entscheidende Positionen im Produktionsprozess und in der Politik ein. Durch bessere Bildung, eine erhöhte Erwerbstätigkeit und mehr Möglichkeiten der politischen Mitbestimmung können viele Frauen heute selbstbestimmter leben und selbstbewusster auftreten als noch vor einigen Jahrzehnten. In der Frauen*streik-Bewegung lernen sie derzeit, diese neue Macht auch zu nutzen. Die zunehmenden Möglichkeiten des Austauschs über Ländergrenzen hinweg durch Social Media, durch bessere Sprachkenntnisse und durch eine größere Mobilität unterstützen diesen Prozess. Diese Faktoren mögen profan klingen, sind aber nicht zu unterschätzen: Erst die Bilder aus Spanien haben die zögerlichen Debatten in Deutschland in Schwung gebracht.

Frauen*streik als vielfältige, aber verbindende Praxis

Die Stärke der Frauen*streik-Bewegung liegt darin, eine Verbindung zwischen den oft unverbundenen Bereichen herzustellen, in denen Frauen tätig sind. Der Streik als klassisches Instrument der Arbeiter*innenklasse wird auf die unentlohnte Haus- und Sorgearbeit ausgeweitet und es werden auch die gesellschaftlichen Bedingungen mit einbezogen. Die Praxis des Frauen*streiks hat sich von den Ländern des globalen Südens und von den peripheren Staaten Europas her ausgebreitet – Wissen und Erfahrungen werden also aktuell von Süd nach Nord weitergegeben. Die Frauen aus den ökonomischen Zentren im globalen Norden sollten diese neue Widerstandspraxis aufnehmen und nutzen, um vor Ort Druck auf die Nutznießer einer hierarchischen Weltordnung auszuüben.

Die komplexen Zusammenhänge, an denen die Bewegung ansetzt, bieten zugleich eine Vielfalt an Eingriffspunkten. Durch die theoretische Debatte um Intersektionalität gibt es hierfür heute ein wesentlich größeres Bewusstsein. Wir wissen, dass die Verschränkung verschiedener Herrschaftsverhältnisse von Herkunft, Geschlecht und sozialer Klasse jeweils spezifische Betroffenheiten und Ausschlüsse, aber auch Handlungsmöglichkeiten erzeugt. Die jeweiligen Lebensrealitäten und vordringlichen Probleme von Frauen bleiben daher trotz globaler Trends sehr verschieden. Während die eine ihre prekäre Stellung als Krankenpflegerin zum Ausgangspunkt ihres Kampfes nimmt, kämpft die andere dafür, endlich den rechtlichen Status zu erhalten, um überhaupt einer Erwerbsarbeit nachgehen zu können.

In der internationalen Frauen*streik-Bewegung wird diesen verschiedenen Verortungen Ausdruck verliehen und es werden unterschiedliche Erfahrungen geteilt. Es geht zum jetzigen Zeitpunkt vor allem um eine solidarische Bezugnahme untereinander und eine Anklage der zugrundeliegenden kapitalistischen Strukturen. Nur die ungeordnete Vielfalt der Themen und Formen des gemeinsamen Streiks scheint in der Lage zu sein, derzeit alle mitzunehmen und zugleich die ganze Größe und Komplexität des Problems sichtbar zu machen, vor dem wir stehen und an dem wir teilhaben. Offenheit und Diversität sind gerade die besonderen Stärken dieser Bewegung. Mittelfristig wird sich aber die Frage stellen, ob und wie sich mit diesen Eigenschaften ausreichend Schlagkraft entwickeln lässt, um diese Welt tatsächlich grundlegend umzugestalten. In Deutschland drückt sich das in der aktuellen Debatte aus, ob sich die Frauen*streik-Bewegung auf wenige Forderungen einigen soll, um diese effektiv durchzusetzen oder ob sie damit zwangsläufig Ausschlüsse hervorbringen und das übergeordnete Ziel aus den Augen verlieren würde, nämlich alle unterdrückerischen Verhältnisse umzuwerfen. Angesichts der weltumspannenden politischen Entwicklungen sollten wir aber dringend auch darüber nachdenken, ob es auf europäischer und internationaler Ebene institutionalisierte Formen des Austauschs und der Entscheidungsfindung geben kann und sollte – so etwas wie eine feministische Internationale.

Eine feministische Internationale im Werden?

Dafür lohnt es sich zurückzuschauen, denn die Idee einer feministischen Internationale ist nicht neu. Bereits die proletarische Arbeiter*innenbewegung Anfang des 20. Jahrhunderts kam mehrmals zu einer internationalen sozialistischen Frauenkonferenz zusammen und gründete auf ihrem ersten Kongress 1907 in Stuttgart die Sozialistische Fraueninternationale (Notz 2009) – initiiert und koordiniert von Clara Zetkin, die damals eine Schlüsselfigur der deutschen Sozialdemokratie war. Die Teilnahme war über ein Delegiertensystem geregelt. Es wurde beschlossen, eine zentrale Stelle einzurichten und die Zeitschrift Die Gleichheit unter der Führung von Clara Zetkin als gemeinsames Publikationsorgan zu nutzen.

Diese Organisierungsform erscheint für die heutige internationale Frauen*streik-Bewegung nicht als geeignetes Vorbild. Anders als die Fraueninternationale vor 100 Jahren ist sie in den jeweiligen Ländern eben nicht in Parteien organisiert, die Delegierte und Mandate vergeben könnten. Doch Bewegungen, die sich keine Strukturen geben, laufen über kurz oder lang Gefahr, undemokratisch zu werden und sich ohne legitimierte Leitung wieder aufzulösen. Im Sinne von Rosa Luxemburgs Ideen zu Führung und Basis (Luxemburg 1906) wäre also die Aufgabe von linken Parteien und Gewerkschaften, die Forderungen der Frauen*streik-Bewegung aufzunehmen, sich konstruktiv in die Bewegung einzubringen, also organisierend bzw. koordinierend darin tätig zu sein. Dabei könnten sie viel lernen, denn die meisten Parteien und Gewerkschaften sind noch immer kein Ort für feministische Organisierung. In Spanien kam mit den linken Bewegungen und Platzbesetzungen nach der Krise 2015 eine lebhafte Debatte um eine sogenannte Feminisierung oder Entpatriarchalisierung der Politik auf (Serra Sánchez et al. 2016). Dahinter steht der Anspruch, eine Politik der ersten Person zu verfolgen, die offene Versammlungen erfordert sowie eine Infrastruktur, in der füreinander Sorge getragen werden kann. Dies soll es jeder Person ermöglichen, ihre privaten Erfahrungen in solche Versammlungen zu tragen und zu wissen, dass sie dort als politische anerkannt werden. Dominante Führungsfiguren, hierarchische Entscheidungsverfahren und ausschließendes Redeverhalten werden entsprechend stark kritisiert.

Doch die daraus folgende Praxis ist noch nicht ausgereift. Das fällt insbesondere dort auf, wo aus der Bewegung heraus direkt auf staatliches Handeln und Gesetzgebung eingewirkt werden soll, wie etwa bei den munizipalistischen linken Stadtregierungen in Barcelona und Madrid. Staatsapparate haben ihre eigenen Logiken und Anforderungen, die sich mit offenen Formen der Kommunikation und Partizipation reiben können. Fragen an die Funktionsweise der Repräsentation durch einzelne Abgeordnete sind weiterhin ungeklärt. Zudem ist der Fokus erklärtermaßen regional. Das aus der munizipalistischen Bewegung entstandene internationale Netzwerk rebellischer Städte dient dem Austausch. Damit ist es noch keine Blaupause für eine feministische Internationale, die breite Partizipation und gemeinsame Entscheidungsfindung miteinander verbinden würde. Es gibt aber durchaus Beispiele für einen weltweiten organisierten Austausch zwischen feministischen Akteur*innen und Bewegungen. Mit der Marxistisch-Feministischen Internationale im Rahmen der von Frigga Haug initiierten Konferenzen existiert bereits ein Austausch zu marxistisch-feministischer Forschung. In Südamerika findet unter dem Namen ELLA seit 2014 ein jährliches Treffen lateinamerikanischer Feministinnen statt. Aus Italien berichten Aktivist*innen von ersten Planungen für eine europaweite Frauen*streik-Konferenz. Wohin sich diese Vernetzungen entwickeln, ist noch offen. Die Europäische Linke könnte hier eine organisierende Rolle einnehmen, wenn sie sich selbst bewegt. Denn bereits jetzt sind viele Aktive linker Parteien in der Frauen*streik-Bewegung engagiert.

Eines ist jedoch sicher: Eine feministische Internationale kann nicht als Kopfgeburt entstehen, sondern nur als Ergebnis internationaler Kämpfe und Bewegungen. Sie kann auch nur getragen und geführt werden von den in den jeweiligen Bewegungen verankerten und miteinander vernetzten Aktivist*innen – also ihren organischen Intellektuellen, um mit Gramsci zu sprechen. Dabei muss das Verhältnis von Lehrenden und Lernenden ständig in Bewegung bleiben: Die Bewegung muss es sich zur Aufgabe machen, jeder Aktivist*in zu ermöglichen, das Ruder zu übernehmen und auch wieder abzugeben. Dafür müssen Verfahren der Entscheidungsfindung, der Wissensweitergabe und der Bildung gefunden sowie kollektiv (weiter-)entwickelt und erprobt werden. Für diese Aufgabe einer progressiven und nachhaltigen Organisierung von Widerstand gibt es bisher noch keine ausgereiften Lösungen. Es gibt aber Versuche und Erfahrungen, über die es sich grenzüberschreitend auszutauschen lohnt. In diesem Sinne ist die Frauen*streik-Bewegung eine transnationale Lernbewegung – eine, die die Chance hat, die Welt zu verändern.

Dieser Beitrag ist online vorveröffentlicht und erscheint in Kürze in LuXemburg 1/2019.

Literatur

Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRAU), 2014: Gewalt gegen Frauen: eine EU-weite Erhebung, fra.europa.eu/de/publication/2014/gewalt-gegen-frauen-eine-eu-weite-erhebung-ergebnisse-auf-einen-blick

Campbell, Jacquelyn C. et al., 2003: Risk Factors for Femicide in Abusive Relationships. Results From a Multisite Case Control Study, in: American Journal of Public Health, 93 (7), 1089–1097

Eurostat, 2017a: Beschäftigungsstatistik, ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php?title=Employment_statistics/de#Besch.C3.A4ftigungsquoten_nach_Geschlecht.2C_Alter_und_Bildungsstand

Dass., 2017b: Löhne und Arbeitskosten. Geschlechtsspezifisches Verdienstgefälle, ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php?title=Wages_and_labour_costs/de#Geschlechtsspezifisches_Verdienstgef.C3.A4lle

Dass., 2018: The life of women and men in Europe. A statistical portrait, Childcare and housework, ec.europa.eu/eurostat/cache/infographs/womenmen/bloc-3d.html?lang=en

Lorey, Isabell, 2019: 8M – der große feministische Streik, transversal.at/blog/8m-der-groe-feministische-streik

Luxemburg, Rosa, 1906: Massenstreik, Partei und Gewerkschaften, in: dies.: Gesammelte Werke 2, 91–170.

Notz, Gisela, 2009: Proletarische Frauen und ihr Weg zum Kommunismus, www.linksnet.de/artikel/25165

Rosa-Luxemburg-Stiftung, 2018: When the Belt Can’t Get Any Tighter. Mapping the impacts of austerity on women’s lives across Europe, www.rosalux.de/en/news/id/38912/when-the-belt-cant-get-any-tighter/

Serra Sánchez, Clara et al., 2016: Feminización de la Política, www.lacircular.info/feminizacion-de-la-politica/

Statistisches Bundesamt (Destatis), 2018a: Verdienstunterschiede 2018, www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/ImFokus/VerdiensteArbeitskosten/Verdienstunterschiede2018.html

Dass., 2018b: Verdienste auf einen Blick, www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/VerdiensteArbeitskosten/Arbeitnehmerverdienste/BroschuereVerdiensteBlick0160013179004.pdf?__blob=publicationFile

Der 8. März war erst der Anfang

Von Kerstin Wolter und Alex Wischnewski

Zuerst erschienen bei Lunapark21, 15.05.2019

Es ist nicht möglich alles zu erfassen, was am vergangenen 8. März bundesweit und international passiert ist. Nicht nur was die Vielzahl an Aktionen angeht, sondern auch mit Blick auf die Wirkung, die diese noch entfalten werden.

Allein die Zahlen der diesjährigen Demonstrationen zum Frauen*kampftag[1] sind beeindruckend. In Berlin gingen trotz Wind und Regen 25.000 Menschen in zwei Demonstrationszügen auf die Straße, in Hamburg 10.000, in Leipzig 4.000, in Frankfurt 3.500, in Köln 3.000, in München 2.500, sowie 2.000 in Freiburg und Kiel. Für jede einzelne der Städte sind dies große Zugewinne im Vergleich zum vergangenen Jahr, teils um das Doppelte oder Dreifache. Rund 70.000 dürfen es bundesweit auf den Demonstrationen gewesen sein. Und dennoch: so beachtlich diese Zahlen sind, sie sind eben nur ein Teil der Geschichte.

Wie im Kapitalismus aus Geld mehr Geld werden kann, zeigt Marx im “Kapital”. Das Zauberwort lautet Ausbeutung. Sie umfasst auch immer die Verfügungsmacht über die Arbeits- und Lebenszeit derjenigen, die ausgebeutet werden. Der Sammelband geht vor diesem Hintergrund den historischen und vor allem aktuellen Kämpfen um…

Denn das erste Mal seit 1994 wurde in Deutschland auch dem Aufruf zu einem feministischen Streik gefolgt. Dieser beschränkte sich ganz explizit nicht nur auf die Lohnarbeit, sondern schloss ebenso die unbezahlte Sorge-, Erziehungs- und Haushaltsarbeit mit ein. Immerhin fordern Feministinnen schon seit Jahrzehnten, dass auch die unbezahlten Tätigkeiten als Arbeit anerkannt werden – und wer arbeitet, kann schließlich auch streiken.

Ein solcher Frauen*streik stößt jedoch auf Schwierigkeiten. Denn sicherlich geht es auch um sexistische Strukturen im eigenen Betrieb oder die ungleiche Arbeitsverteilung in der (heterosexuellen) Beziehung. Der Frauen*streik kann hier Ausgangspunkt für persönliche Veränderungen sein. Viele Forderungen zielen jedoch auf eine andere Ebene. So etwa, wenn es um einen höheren Lohn in den Pflegeberufen geht, einen flächendeckenden Mindestlohn, ein Ende von Privatisierungen in der öffentlichen Daseinsvorsorge, die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen oder die Anerkennung geschlechtsspezifischer Fluchtursachen. Deshalb ist der Frauen*streik allem voran ein politischer Streik, das heißt, es ist eine Arbeitsniederlegung für Forderungen, die sich nicht direkt auf den eigenen Arbeitgeber beziehen. Dieser ist nach weitläufiger Meinung in Deutschland nicht möglich. Erst wenn eine große Anzahl an Frauen gleichzeitig ihre Lohnarbeit bestreikt, wird das Risiko für die einzelne sinken – und die Frage der Legitimität eines politischen Streiks auf die Tagesordnung gesetzt, das zeigen Beispiele aus der Geschichte. An diesem Punkt waren wir dieses Jahr noch nicht.

Es gab einzelne Arbeitsniederlegungen in Betrieben und Institutionen. Etwa in Bad Hersfeld in Hessen, wo Amazon-Mitarbeiter*innen im Rahmen ihres schon länger andauernden Arbeitskampfes spezifisch auf die Situation und Forderungen von Frauen aufmerksam gemacht haben. Oder am Maxim-Gorki-Theater in Berlin, das eine Premiere abgesagt hatte. Aber auch in Bad Tölz in Oberbayern, wo die Tierärztin ihre Praxis schloss und zur Demonstration nach München mobilisierte. Zahlreiche Selbstständige schalteten für diesen Tag eine Abwesenheitsnotiz mit Begründungen für ihre Streikbeteiligung. In verschiedenen Orten – etwa Jena oder Freiburg – wurden kämpferische Mittagspausen und Streikcafés organisiert, auf denen Frauen auf ihre häufig prekären Lagen aufmerksam machten. Um 5 vor 12 Uhr beteiligten sich zusätzlich ungezählte Frauen überall in Deutschland an einem gemeinsamen Sitzstreik, ob an öffentlichen Plätzen, vor ihrer Haustür oder ihrem Betrieb. So haben beispielsweise Mitarbeiter*innen des Klinikums in Groß-Gerau einen Sitzstreik in der Mittagspause durchgeführt.

Frauen, die ihre Sorgeverpflichtungen nicht einfach liegen lassen konnten, füllten symbolische Überlastungsanzeigen mit ihren persönlichen Geschichten aus. Sie wurden vor dem Gesundheitsministerium verlesen und dem Pförtner übergeben. Für sie gab es auf der Demonstration in Berlin auch einen „leeren Block“. Es gibt zu viele kreative Aktionen, als dass sie alle aufgezählt werden könnten. Und nicht alle waren in den sozialen Medien zu verfolgen – wohl aber in den Nachbarschaften und Betrieben.

Doch es gibt leider nicht nur erfreuliche Nachrichten vom 8. März. So wurden dem Streiknetzwerk in Göttingen wenige Tage vorher der Veranstaltungsort abgesagt. Die Eigentümer hatten den Raum kurzfristig lieber an eine kommerzielle Veranstaltung vergeben. In Freiburg und auf der Berliner Demonstration der Alliance of Internationalist Feminists wurden Teilnehmer*innen Opfer von massiver Polizeirepression, in Berlin wurden sogar Frauen festgenommen. Vor allem der Polizeieinsatz auf letzterer Demonstration hat einen bitteren Beigeschmack, denn die Organisatorinnen und ein großer Teil der Teilnehmerinnen waren migrantische Frauen. Es muss Aufgabe der Bewegung sein, hier Solidarität zu zeigen über regionale und Grenzen der Herkunft hinweg.

Lohnarbeitsniederlegungen im großen Stil blieben in diesem Jahr noch aus. Das verhinderte jedoch nicht, dass der 8. März in seiner Breite deutlicher mit sozialen Forderungen verbunden war als in den vergangenen Jahren. Der Aufruf zum Streik, der im November 2018 auf der ersten bundesweiten Streikversammlung beschlossen wurde, enthält bereits die Verbindung von sozialen und Freiheitsrechten. Auf den beiden bundesweiten Streikversammlungen waren etwa zwei Drittel der Anwesenden Gewerkschaftsmitglieder, die meisten von ihnen befinden sich selbst in Lohnarbeitsverhältnissen. Auch in den Beiträgen der Aktivistinnen wurde der Kampf gegen Rassismus und Sexismus selbstverständlichen mit dem Kampf gegen antisoziale Kürzungspolitiken und die kapitalistische Ausbeutung des globalen Südens durch den globalen Norden verbunden. Die Berichterstattung in der Presselandschaft hat diese Fäden bisher jedoch nur spärlich aufgenommen. In der Frauen*streikbewegung jedoch sind diese Kämpfe untrennbar miteinander verwoben. Auch, weil die Akteur*innen selbst auf vielfältige und verschlungene Weise von den verschiedenen Ausbeutungs- und Diskriminierungsweisen betroffen sind. Es ist deshalb auch kein Wunder, dass auf der Frauen*kampftagsdemonstration in Berlin Aktivistinnen von KeineMehr[2] neben den Mietenaktivist*innen von „Zwangsräumungen verhindern“ liefen, oder dass die Physio- und Ergotherapeutinnen der Charité-Tochter CPPZ gemeinsam mit den Schüler*innen von Fridays for Future um 17.00 Uhr ihre Wut hinausschrien.

Der Streikbegriff hat es möglich gemacht, dass sich die verschiedenen Kämpfe leichter aufeinander beziehen konnten. Doch dahinter steckt mehr als der gemeinsame Bezug auf einen Begriff. Es sind die Verhältnisse selbst, sie sich an vielen Enden erschreckend zuspitzen. In den Großstädten Deutschlands und auf der ganzen Welt, sind die Mieten für die meisten mittlerweile kaum noch bezahlbar, die Pflege in Deutschland liegt am Boden, es mangelt an Personal und das Personal, das da ist, wird schlecht bezahlt und gerät permanent an die Grenzen der eigenen Belastbarkeit, Gewalt gegen Frauen sowie Trans- und Interpersonen nimmt zu, die Folgen des Klimawandels führen bereits zu Dürrekatastrophen und Überschwemmungen und damit zu Hunger und Tod für unzählige Menschen, die Kriegsgefahr wächst auch in Europa. Wir brauchen deshalb eine starke Bewegung, die diesen Entwicklungen die Utopie einer besseren Welt entgegensetzt und die gleichzeitig genug Druck aufbauen kann, um eine andere Politik- und Wirtschaftsweise durchzusetzen. Die Fluchtbewegungen aus Syrien oder den Ländern Nordafrikas nach Europa, die Wahl von Trump, Bolsonaro oder Erdogan zu Präsidenten, aber auch die Polizeigesetzverschärfungen in einzelnen Bundesländern Deutschlands sind nur die Vorboten der kommenden Zeit, die für viele Menschen Leid und Tod bringen wird – wenn wir nichts dagegen tun.

Die Frauen*bewegung, verbunden mit dem ihr eigenen Instrument des feministischen Streiks, könnte in der Lage sein, die verschiedenen Bewegungen, die dieser Entwicklung entgegenstehen, zu verbinden. Auch deshalb, weil sie nicht nur auf Deutschland beschränkt ist. Auch in Argentinien und Indien, in den Vereinigten Staaten und Spanien gingen Millionen von Frauen auf die Straßen. Die Wirkmächtigkeit der weltweiten Proteste am vergangenen 8. März sind noch nicht abzusehen. Viele haben das erste Mal davon gehört und stoßen gerade erst dazu. Es benötigt weitere Analysen und Erfahrungen, sowie gemeinsame Visionen. Vielerorts stehen Abwehrkämpfe zwangsläufig noch im Vordergrund. Klar ist, dass eine Bewegung begonnen hat, sich auf dem Weg zu machen, auf lange Sicht das ganze System, das auf der Ausbeutung, Unterdrückung und Entrechtung von Frauen und Queers beruht, zum Einsturz zu bringen. Der 8. März 2019 war erst der Anfang.


[1] Die Autorinnen benutzen das Gendersternchen um deutlich zu machen, dass nicht alle Personen, die von der Gesellschaft als Frauen identifiziert werden auch welche sein müssen, da Geschlecht nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen übereinstimmen muss.

[2] KeineMehr ist eine Initiative, die auf die strukturellen Ursachen von Frauenmorden hinweisen möchte. https://keinemehr.wordpress.com/ – dabei orientiert sie sich an der berühmt gewordenen Bewegung NiUnaMenos (dt: keine weniger) in Argentinien.

Eine feministische Internationale im Werden?

Von Kerstin Wolter und Alex Wischnewski
(Im Auftrag von Widerspruch, Redaktionsschluss Januar 2020)

25. November 2019, es ist der internationale Tag gegen Gewalt gegen Frauen. Über hundert Frauen bauen sich vor dem Präsidentenpalast in Santiago de Chile auf, ihre Augen sind mit einem schwarzen Tuch verbunden, die Köpfe aufgerichtet, die Gesichter starr. Im Rhythmus ihrer stampfenden Beine und anklagenden Handzeichen beginnen die Frauen zu rufen: „Das Patriarchat ist ein Richter, der uns für unsere Geburt verurteilt. Und unsere Strafe ist die Gewalt, die du jetzt siehst. […] Der Vergewaltiger bist Du.“[i] – in den folgenden Tagen verbreitete sich die Performance der feministischen Gruppe LasTesis nicht nur im Netz, sondern wurde auch von Frauen weltweit adaptiert; von Mexiko über Mozambique nach Tschechien, von Indien über die USA bis ins türkische Parlament. Dabei wurde der Text im spanischen Original verwendet, übersetzt, ergänzt. Die Botschaft war jedoch überall dieselbe. Es geht um männliche Gewalt gegen Frauen, um die zugrundeliegenden Strukturen von Herrschaft und Unterdrückung, um staatliche Ignoranz. Auch wenn sich die nationalen Ausprägungen der Gewalt gegen Frauen unterscheiden mögen, handelt es sich um ein globales Phänomen. Die Performance – selbst in ihrer poetischen, insofern kodierten Weise – sprach deshalb die kollektive Erfahrung feminisierter Körper weltweit an. Auch zahlreiche andere Themen, wie etwa das umkämpfte Recht auf Schwangerschaftsabbruch oder eine zunehmende Prekarisierung von bezahlten wie nicht bezahlten Reproduktionstätigkeiten, werden über Grenzen hinweg geteilt. Dass sich in den letzten Jahren feministische Kampagnen vermehrt transnational ausweiten – von den „women’s marches“ über #metoo bis zum feministischen Streik – geht jedoch weit über eine thematische Übereinstimmung hinaus. Einzelne Aktionen geben die Möglichkeit, sich an einer weltweiten Bewegung zu beteiligen, auch wenn die Strukturen vor Ort noch schwach sind. Sie senden Impulse und Inspiration, aber sie erzeugen nicht erst etwas, wo vorher nichts war. Die aktuelle Mobilisierungskraft der Proteste entsteht durch ein sich selbst verstärkendes Wechselspiel aus lokalem Kontext und einer transnationalen Bewegung, mit zahlreicher werdenden Verknüpfungen und Aktivitäten. Damit der Funke von heute nicht wieder verpufft, wäre dennoch mehr Koordination nötig – aber ist sie auch möglich?

Verortungen einer transnationalen Bewegung

Eine Reihe massiver Demonstrationen in Argentinien, die im Jahr 2015 international Beachtung fanden, können als erster Impuls der neuen transnationalen Vernetzung feministischer Bewegungen gelesen werden. Auch hier stand die zunehmende Gewalt gegen Frauen im Zentrum. Als Reaktion auf einen besonders brutalen Femizid bildete sich das Kollektiv NiUnaMenos, das hunderttausende Menschen gegen Gewalt an Frauen mobilisierte. Seither wurde die Initiative nicht nur in einer Vielzahl anderer Länder aufgegriffen, sondern gab Anstoß zu einer feministischen Streikbewegung, die weitere feministische Konfliktfelder miteinbezieht. Dabei wird der Streik als klassisches Instrument der Arbeiter*innenklasse sowohl auf die unentlohnte Haus- und Sorgearbeit ausgeweitet als auch auf die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen Tätigkeiten von Frauen und Queers stattfinden. Die Mobilisierungskraft, die der Streik besonders in Argentinien entwickelte, kann auch auf die neue Weise zurückgeführt werden, wie die individuell-körperlichen und abstrakt-ökonomischen Gewalterfahrungen praktisch miteinander verbunden wurden: Eine oft abstrakte Gesellschaftskritik verknüpfte und konkretisierte sich im Kampf gegen die gewaltvollen Alltagserfahrungen von Frauen und Queers (Gago 2019).

Was in Argentinien ebenfalls gelang, war eine Verbindung von Massenmobilisierungen und einer Radikalität, die sich nicht nur auf die Aktionsformen des Streiks und des zivilen Ungehorsams bezieht, sondern auch auf die Forderungen der darin verbundenen Kämpfe (ebd.). Erklärt werden kann dies zu einem Teil sicherlich durch die Zuspitzung der Konflikte eines autoritären Neoliberalismus, die weltweit immer weitere Bevölkerungsgruppen und dabei insbesondere Frauen in die Enge treiben (Wolter / Wischnewski 2019). Dennoch sind die sozialen Zerwürfnisse und die politischen Felder in den jeweiligen Ländern unterschiedlich ausgeprägt. Während etwa in Argentinien heute 35 Prozent der Bevölkerung in Armut leben (INDEC 2020), sind dies in Deutschland mit rund sechzehn Prozent weniger als halb so viel (BMAS 2018). Radikale Forderungen nach Enteignung sind in Deutschland nur deshalb so populär, weil ein immer größerer Anteil der alten Mittelklasse unter steigenden Mieten leidet. Radikalität funktioniert nicht einfach als Blaupause, sondern braucht eine jeweils spezifische Form. Eine solche Forderung muss für den Feminismus in Deutschland deshalb erst noch gefunden werden.

Vor diesem Hintergrund sind auch die aktuellen Debatten in Spanien zu verstehen. Nach zwei sehr erfolgreichen feministischen Streiks am 8. März steht zur Diskussion, welche neuen Formen gefunden werden können, damit der Streik nicht schon bald zu einer jährlichen Tradition verkommt. Für 2020 wurde in Spanien nicht zum Streik aufgerufen. Ersichtlich wird daran auch, dass der Streik derzeit zwar das wohl bedeutendste Instrument der feministischen Bewegungen ist, es aber langfristig nicht dabei bleiben muss.

Neben der Radikalität prägen Kreativität und Vielfalt die Bewegungen, weil dem feministischen Streik nicht durch Statute vorgegeben ist. „Was ist dein Streik?“ fragte das feministische Kollektiv Precarias a la deriva schon vor einigen Jahren. Die komplexen Zusammenhänge, an denen angesetzt wird, bieten eine Vielfalt an Interventionsmöglichkeiten und durch die Debatte um Intersektionalität gibt es dafür heute ein wesentlich größeres Bewusstsein. Wir wissen, dass die Verschränkung verschiedener Herrschaftsverhältnisse von Herkunft, Geschlecht und sozialer Klasse jeweils spezifische Betroffenheiten und Ausschlüsse, aber auch Handlungsmöglichkeiten erzeugt. Der Streik muss und kann deshalb an jedem Ort neu erfunden werden.

Ausdruck und Kraft der feministischen Bewegungen sind aber nicht nur deshalb regional unterschiedlich ausgeprägt. Häufig konzentrieren sich Aktivitäten auf die Städte. In Spanien z. B. ist es jedoch gelungen, den feministischen Streik in der Fläche auszudehnen, sodass sich selbst Frauen in kleinen Dörfern am Streik beteiligt haben. Wie wurde das möglich? Einerseits wohl deshalb, weil in Spanien die großen feministischen Mobilisierungen der vorangegangenen Jahre – 2014 verhinderten Frauen eine Verschärfung der Abtreibungsgesetze, 2015 stießen Social-Media-Kampagnen und Demonstrationen eine gesellschaftliche Debatte über Gewalt gegen Frauen an – bereits die nationale Presse bestimmt hatten; andererseits weil an Partizipationsformen gearbeitet wurde, an denen sich auch Frauen in kleinen Städten beteiligen konnten. Als Zeichen ihrer Anteilnahme konnten Frauen etwa auch Küchenschürzen aus dem Fenster hängen, eine Aktion, die keine weiteren Strukturen benötigte.

Wenn schon innerhalb eines Landes die konkrete Ausgangssituation von Frauen unterschiedlich sind, so werden die Differenzen noch auf internationaler Ebene noch vielfältiger. Denn jeder Ort ist von einem komplexen Geflecht aus politischer Kultur, Konjunktur, Ausbeutungsverhältnissen und Geschichte geprägt. Das heißt, wie Frauen und Queers an den jeweiligen Orten reagieren und welche Effekte das wiederum auf die lokalen Akteur*innen und Verhältnisse hat, liegt sehr stark an den unterschiedlichen Ausgangslagen in verschiedenen Regionen und ihren Eigendynamiken. Bewegungen können deshalb nicht einfach kopiert werden.

Think GLOBAL, act LOCAL

Nehmen wir Deutschland als Beispiel. Ein feministischer Streik wurde bereits in den Jahren vor dem ersten Aufruf für 2019 in verschiedenen Bündnissen diskutiert. Vor dem Hintergrund einer zwar wachsenden, aber noch schwachen bundesweiten feministischen Bewegung wurde er jedoch als unrealistisch verworfen. Erst als die Bilder aus Spanien von der Beteiligung von Millionen am feministischen Streik nach Deutschland schwappten, wurde die Arbeit aufgenommen. Allerdings nicht aus dem Nichts: Die Initiative wurde maßgeblich von jenen Kollektiven ergriffen, die bereits in den vergangenen Jahren die Demonstrationen und Aktionen in verschiedenen Städten rund um den 8. März organisiert hatten.

Dennoch hatte es in Deutschland seit 1994 keine erwähnenswerten größeren feministischen Proteste gegeben. Damals fand unter der Beteiligung von schätzungsweise einer Million Frauen der erste Frauenstreik in Deutschland statt. Zentrale Forderungen des damaligen Protests – z. B. die Entkriminalisierung von Abtreibungen – wurden nicht umgesetzt. Die Bewegung zerbrach anschließend an den unterschiedlichen Vorstellungen ihrer Akteurinnen und machte akademischen und institutionellen Auseinandersetzungen Platz. Ein neuer Anlauf sichtbarer feministischer Proteste setzte erst vor wenigen Jahren ein. Aber nicht nur im Feminismus ist die deutsche Streik- und Protestgeschichte abgebrochen. Große Proteste– wie gegen den Irak-Krieg oder das Freihandelsabkommen TTIP – stellten lange eine Seltenheit dar, Generalstreiks gibt es gar nicht erst. Betriebliche Streiks finden seit dem zweiten Weltkrieg im engen und kontrollierten Rahmen des Tarifrechts statt und nahmen lange kontinuierlich ab. Erst in jüngster Zeit ändert sich dieser Trend – sei es bei den großen #unteilbar- oder Fridays-for-Future-Demonstrationen oder bei den betrieblichen Streiks (ZEIT 2019), gerade in frauendominierten Branchen (Artus 2019, 10).

Auch wenn das hoffen lässt, ist man in Deutschland aus diesen Gründen mit dem feministischen Streik an einem anderen Punkt der Entwicklung als in Argentinien. Dort finden seit über dreißig Jahren plurinationale Treffen von Frauen und Queers statt, an denen große Kampagnen ihren Resonanzraum finden. Für die Verbindung von unterschiedlichen Perspektiven waren in Argentinien z. B. auch die „asambleas“ von besonderer Bedeutung, die eine lange Tradition haben.[ii]

Diese lokalen Spezifika zeigen: Die Internationalisierung der feministischen Bewegungen wirft Fragen auf, die lokal beantwortet werden müssen. Für den weiteren Aufbau der feministischen – ja, der Proteste insgesamt in Deutschland, wäre deshalb die Frage interessant, an welche vergleichbaren Organisierungstraditionen hier angeknüpft wird – oder werden kann. Die Antwort auf diese Frage gehört zu den Voraussetzungen für das Wachsen der Proteste in einem Land und damit für eine mögliche internationale Koordination der feministischen Bewegungen insgesamt.

Herausforderungen für eine feministische Internationale

Aktuell stehen allerdings die gegenseitige Inspiration und das solidarische Aufeinander-Bezug-Nehmen zwischen den Bewegungen im Vordergrund. Das ist nicht zu unterschätzen. Gemeinsamkeiten zu finden, Allianzen zu gründen, wirklich solidarisch zu sein, das ist notwendig, um nicht nur einzelne Identitäten voneinander abzugrenzen. Im Zuge der Intersektionalitätsdebatte waren lange Jahre Bewegungen an vielen Orten der Welt notwendigerweise davon geprägt, die Differenzen zwischen Frauen* herauszuarbeiten und sich damit gegen eine Anrufung zu stellen, die letztlich nur die Realitäten und Forderungen weißer Mittelschichtsfrauen meinte. Dazu zählen etwa Bewegungen von Trans- oder Schwarzen Frauen. Heute werden der Wunsch und die Dringlichkeit wieder stärker, auch das Gemeinsame zu suchen und zu stärken, ohne dabei die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen, also ohne die Differenzen unsichtbar zu machen. Durch diese Bezüge entsteht ein offenes, aber immer dichter werdendes Netz, in dem Ideen, Argumente, Formen ausgetauscht werden.

Eine Herausforderung besteht darin, dass diese Konstellation zum Teil auch die Spaltungen der Weltgemeinschaft reproduziert, weil internationale Treffen und Aktivitäten von westlichen Geldgebern abhängig sind oder auf den von diesen geschaffenen Kontakten beruhen. Es ist kein Wunder, dass der direkte Austausch zwischen afrikanischen und lateinamerikanischen Feministinnen bisher noch sehr schwach ist. Umso interessanter ist, dass die Impulse für die feministischen Bewegungen derzeit von Ländern des globalen Südens und den peripheren Staaten Europas ausgehen. Frauen in den ökonomischen Zentren des globalen Nordens sollten sie auch dafür nutzen, um in ihren Ländern direkten Druck auf die Nutznießer*innen einer hierarchischen Weltordnung auszuüben.

Wenn die Türkei mit aus Deutschland gelieferten Waffen einen Krieg gegen die Kurd*innen in Nordsyrien führt oder europäische Firmen in Lateinamerika Extraktivismus betreiben, dann reicht lokaler Widerstand nicht aus. Auch die Flucht- und Migrationsbewegungen drängen auf transnationale Kämpfe. „Das Recht zu bleiben“, lässt sich nicht allein vor Ort erstreiten, sondern ist von einem ungerechten Welthandel ebenso abhängig wie von den Folgen des durch westliche Industrien befeuerten Klimawandels. Viele Herausforderungen, denen die Menschen heute gegenüberstehen, sind global und auch wenn sie national unterschiedlich ausgeprägt sind, lassen sich Antworten darauf nur mittels einer grenzüberschreitenden Perspektive finden.

Für den Moment bedeutet dies vor allem, miteinander in Kontakt zu bleiben, voneinander zu lernen, miteinander weiterzudenken. Denn nur wenn die globalen Zusammenhänge erkannt und als eigene Betroffenheit und Verantwortung erfahren werden, können sie wirklich mobilisierend im Alltag wirken. Die internationale feministische Bewegung befindet sich in einem Bildungsprozess, der sich sowohl lokal als auch global neu formiert. Anders als in der Sozialistischen Fraueninternationale zu Beginn des 20. Jahrhunderts bestehen die heutigen Verbindungen nicht zwischen Parteien oder anderen festen Organisationen mit Delegiertensystem und Satzungen, sondern als lose Netzwerke zwischen Bewegungen und Bündnissen, meist ohne starre Struktur. Unter dem Namen ELLA finden seit einigen Jahren Treffen von lateinamerikanischen Feministinnen statt, nach dem Frauen*streik in der Schweiz gab es die erste Einladung zu einer Zusammenkunft europäischer Aktivistinnen in Genf. Vieles findet über soziale Medien und Chat-Gruppen statt.

Diese Offenheit ist eine Stärke der Bewegung, da so der Vielfalt Ausdruck verliehen werden kann und eine niedrigschwellige Beteiligung von Frauen überall ermöglicht wird. Andererseits drohen Bewegungen ohne transparente Strukturen schnell undemokratisch zu werden oder wenig nachhaltig zu sein. Das gilt jedoch ebenso für die lokalen Strukturen. Diese zu schaffen, ohne Differenzen und Vielfalt unsichtbar zu machen, und sie auf internationaler Ebene zu konsolidieren, wird die große Herausforderung für die internationale feministische Bewegung.

Literatur:

Artus, Ingrid, 2019: Frauen*-Streik! Zur Feminisierung von Arbeitskämpfen.

BMAS – Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2018: Lebenslagen in Deutschland. Der fünfte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung.

Gago, Verónica, 2019: Eight Theses on the Feminist Revolution.

Eight Theses on the Feminist Revolution
(Abfrage 15.01.20)

INDEC – Instituto Nacional de Estadísticas y Censos, República Argentina, 2020. https://www.indec.gob.ar/indec/web/Nivel3-Tema-4-46 (Abfrage 15.01.20)

Precarias a la deriva, 2014: Was ist Dein Streik? Militante Streifzüge durch die Kreisläufe der Prekarität.

Triguboff, Matías, o.J.: Asambleas populares en la Argentina: procesos sociales y prácticas políticas tras la crisis de 2001. https://www.centrocultural.coop/revista/13/asambleas-populares-en-la-argentina-procesos-sociales-y-practicas-politicas-tras-la (Abfrage 15.01.20)

Wischnewski, Alex / Wolter, Kerstin, 2019: Eine feministische Internationale. Wie sich Frauen über Grenzen hinweg organisieren. https://www.zeitschrift-luxemburg.de/eine-feministische-internationale-wie-sich-frauen-ueber-grenzen-hinweg-organisieren/ (Abfrage 15.01.20)

ZEIT, 2019: Zahl der Streiktage deutlich gestiegen. https://www.zeit.de/wirtschaft/2019-03/streiktage-2018-arbeitskaempfe-tarifkonflikte-metallindustrie (Abfrage 15.01.20)


[i] „El patriarcado es un juez, que nos juzga por nacer, y nuestro castigo, es la violencia que ya ves. (…) El violador eres tu”, eigene Übersetzung.

[ii] Asambleas gewannen insbesondere während der Wirtschaftskrise 2001/2002 grosse Bedeutung (Triguboff o.J.).

Wo stecken die Feminist*innen in der Corona-Krise?

Von Kerstin Wolter und Alex Wischnewski

Wir erleben äußerst ungewöhnliche Zeiten. Während Britney Spears zum Klassenkampf aufruft, haben vermutlich niemals zuvor so viele Männer so viel Schlaues über die Bedeutung von Care-Arbeit zu sagen, über die viel zu geringe Bezahlung der – geschlechtslosen? – Menschen in den »systemrelevanten« Berufen und sogar über die steigende Partnerschaftsgewalt gegen Frauen durch die Ausgangsbeschränkungen. Genau dafür wurden Feminist*innen zwar lange Zeit in die Gedöns-Ecke gestellt (vielleicht auch von einigen jener Männer), aber Schwamm drüber. Wer will in solchen Krisensituationen schon nachtragend sein? Also: Bravo! Vorwärts Männer, rückwärts nimmer. Oder so ähnlich.

Seltsam ist aber, wie alleine diese Schreiberlinge nun sind: Wenn Feminist*innen das alles doch schon lange gesagt haben, warum schweigen so viele von ihnen dann ausgerechnet jetzt? Wo sind die Frauen, die jetzt massenhaft aufbegehren müssten? Ach ja, richtig: Die sind ja rund um die Uhr damit beschäftigt, in den ebenso systemrelevanten wie frauendominierten Berufen bis zum Umfallen die Welt zu retten, oder sich um Angehörige in der Risikogruppe sowie Kindern zu kümmern, die wegen der KiTa- und Schulschließungen nun wieder im trauten Heim betreut oder sogar beschult werden. Natürlich für umme, ist ja klar.

Deshalb bleibt dann doch vielleicht, ganz eventuell, so ein klitzekleiner bitterer Beigeschmack. Oder sagen wir so, gerade für Mütter von kleinen Kindern ist es gerade kaum zu ertragen, wenn sich Männer aus der Linken (man sagt, einige von ihnen seien Väter), die ins Home Office versetzt wurden oder deren Politiktermine jetzt größtenteils ausfallen, darüber austauschen, wofür sie endlich wieder mehr Zeit haben. Bücher lesen, etwa, oder Texte und Facebook-Posts schreiben über die Bedeutung von Care-Arbeit.

Und das in unserer, doch so progressiven linken Blase. Wie sieht es da erst woanders aus? Trotz der großen Aufmerksamkeit für feministische Themen und insbesondere den bezahlten Teil der Sorgearbeit droht ein Backlash. Durch die Corona-Krise kann es mit der Gleichberechtigung wieder zurück in längst vergangene Zeiten gehen.

Weil Schulen und die meisten KiTas geschlossen sind, ist die alte Frage zurückgekehrt: Wer kümmert sich und nimmt dafür berufliche wie finanzielle Einbußen in Kauf? Die meisten Paare treffen diese Entscheidung notgedrungen über die Höhe des Einkommens und das ist in heterosexuellen Paarbeziehungen meistens höher beim Mann. Wenn Frauen nun aber stärker diese Lücke füllen, dann ist das nicht nur ein Ausnahmezustand, der gemeinsam mit den Ausgangssperren einfach wieder aufgehoben werden kann. Das hat langfristige Folgen.

Auch nach der Ebola-Epidemie in Westafrika vor wenigen Jahren erholten sich Männer finanziell schneller als Frauen. Wie viele Frauen werden beruflich auf der Stelle treten, weil sie jetzt nicht zu hundert Prozent im Homeoffice erreichbar sind? Wie viele Kinder werden stärkere Betreuung und mehr Aufmerksamkeit brauchen, weil sie jetzt den Anschluss verlieren, und wer wird sich dafür Zeit nehmen müssen? Wie hoch wird die Zahl der finanziell abhängigen und dadurch im schlimmsten Fall auch Gewalt stärker ausgelieferten Hausfrauen nach der Corona-Pandemie wieder sein?

Diese Ungerechtigkeiten bleiben derzeit weiterhin unsichtbar hinter dem lautstarken Einsatz für die öffentliche Infrastruktur – so wichtig dieser auch ist. Wie ernst er gemeint ist, wird sich allerdings auch noch zeigen müssen. Werden die Wortführer von heute sie und ihre Heldinnen auch dann noch verteidigen, wenn die aufkommende Wirtschaftskrise einschlägt?

Während jetzt alle über das Gesundheitswesen reden, kann die Stimmung schnell kippen, wenn es darum geht, die großen Industrien zu retten. Es wäre nicht das erste Mal. In der letzten Wirtschaftskrise wurden Umverteilungen durch Abwrackprämie und Kurzarbeitergeld durch Kürzungen in der sozialen Infrastruktur bezahlt. Männliche Arbeitsplätze wurden zu Lasten von Frauen (als Beschäftigte wie als Nutznießerinnen) gesichert.

Neben den ganz großen Fragen kann die eigene Ernsthaftigkeit auch schon im Kleinen bewiesen werden. Jeder, der Zeit hatte bis hierher zu lesen, kann sich ja mal bei den Frauen in seinem Umkreis nach Möglichkeiten für einen besseren Ausgleich der Belastungen erkundigen. Mit freundlichen Grüßen von Britney Spears.

Zuerst veröffentlicht in der Zeitung neues deutschland, 08.04.2020

Dem »kleinen Mann« ist mehr zumutbar

Von Kerstin Wolter und Alex Wischnewski

Sind Frauen die besseren Menschen? Oder die linkeren? Die Ergebnisse der letzten Wahlen legen das nahe. Und doch spielt das in den verstärkt geführten Strategiedebatten fast keine Rolle. Wer ist eigentlich gemeint, wenn von gesellschaftlichen Mehrheiten geträumt wird? In der Arbeiterinnenklasse liegt ein großes Potenzial, nicht nur als Zielgruppe, auch für die Ausrichtung und die politische Kultur der Linkspartei.

Die Wahlergebnisse des vergangenen Jahres zeigen, dass besonders Frauen von Mitte-links-Parteien angesprochen werden. Bereits 2017 hatte die LINKE bei der Bundestagswahl im Vergleich zu 2013 nur bei den Frauen zugelegt. Im Osten wird die LINKE durchweg häufiger von Frauen gewählt als von Männern. Das zeigte nicht zuletzt die Wahl in Thüringen. Umgekehrt sieht es bundesweit bei der AfD aus.

Die Gründe dafür sind vielschichtig. Ein Grund dürfte aber sein, dass sich Frauen in den vergangenen Jahren wieder vermehrt klassenpolitisch organisiert haben – ob in den Streiks im Sozial- und Erziehungsdienst, im Einzelhandel und in Krankenhäusern, oder in den zunehmenden Protesten rund um den 8. März. Und trotzdem gibt es bisher keine Strategie, wie wir noch mehr Arbeiterinnen für die LINKE und linke Politik gewinnen können. Ein einzelnes Feminismuskapitel im Wahlprogramm ist noch keine Strategie.

Dass die LINKE in den Pflegeauseinandersetzungen nun präsent ist, ist eine bemerkenswerte Ausnahme, doch wird dies nicht in eine sozialistische Erzählung eingeschrieben. Der letzte Versuch einer solchen Erzählung scheiterte 2011 mit der Ablehnung einer feministisch-sozialistischen Präambel für das Parteiprogramm. Eine Vision, die nicht nur einzelne zumeist männliche Klassenfraktionen in den Mittelpunkt stellt, darf die Lebens- und Arbeitswelt von Frauen nicht auf Extraseiten verbannen. Wir müssten eine Neuorganisation von Reproduktion wie Produktion entwerfen, auf die unsere aktuellen Forderungen erkennbar verweisen. So etwa, wie es derzeit mit der Forderung nach Enteignungen und öffentlichem Eigentum funktioniert.

Momentan ist es nicht verwunderlich, wenn zahlreiche LINKE in Netzwerken für einen feministischen Streik aktiv sind, der genau eine solche Neuorganisation einfordert, aber ihr Aktivismus oft unverbunden mit der Parteiarbeit bleibt. Es gilt, diese Organisierungen zu stärken und in die Parteidebatten und parlamentarische Arbeit zurückzuspeisen.

Aber auch programmatische Ausrichtungen greifen zu kurz, wenn wir Frauen, die sich davon angesprochen fühlen, nicht in die Partei integrieren können. In der Debatte um eine Feminisierung von Politik werden auch Fragen nach einer gemeinsamen Kultur aufgeworfen. Wer hat schon Lust, sich nach einem langen Tag, an dem man sich mit dem tyrannischen Chef rumgeärgert hat oder an dem das Kind mal wieder besonders nervig war, noch in eine Parteisitzung einzubringen, in der sich mehrheitlich ältere Männer langatmige oder aggressive Redebeiträge zuwerfen? Kaum eine Frau, aber sicherlich auch viele Männer nicht.

Doch hier wird von manchen die ewig gleiche Gegenüberstellung betont und der Wunsch nach einem besseren Umgang miteinander als Anspruch einer privilegierten Mittelklasse verworfen, während die Arbeiter*innenschaft nur eines will: am Stammtisch, bei Bier und Bockwurst, endlich ihre Meinung sagen. Der »kleine Mann« habe ein Recht darauf so zu bleiben, wie er ist und nicht politisch korrekt umerzogen zu werden. Das ist nicht nur undifferenziert, sondern auch paternalistisch. Die Vertreter dieser Ansicht halten meist auch den besagten »kleinen Mann« für zu blöd, für den sie vermeintlich Partei ergreifen.

Es gibt offensichtlich einen Wunsch nach Gemeinschaft, der derzeit von den Rechten in ihren Anrufungen an Nation und Familie beantwortet wird. Wir müssen hier unsererseits ein progressives Angebot machen. Deshalb muss die Linkspartei auch eine Gemeinschaft bilden, in der sich Menschen wohl fühlen und eine Pause bekommen vom ständigen Konkurrenzdruck im Alltag. Die LINKE sollte eine soziale Organisation sein, die sich um ihre Mitglieder sorgt, in denen Menschen und ihre alltäglichen Probleme Platz haben. Das ist auch eine zutiefst feministische Forderung, weil traditionell Frauen Sorgen und Probleme auffangen und notwendige emotionale Arbeit übernehmen. Sie sollte eine Aufgabe von allen werden.

Zuerst veröffentlicht in der Zeitung neues deutschland, 26.11.2019

Was ist schwerer als eine Geburt?

Von Kerstin Wolter und Alex Wischnewski

In Deutschland erblicken von Jahr zu Jahr mehr Babys das Licht der Welt. So wurden laut Bundesamt für Statistik im Jahr 2018 gut 2500 Kinder mehr geboren als noch im Vorjahr. Doch während die Anzahl der Geburten in Deutschland steigt, wird das Kinderkriegen immer unsicherer. Mehr und mehr Geburtsstationen müssen schließen. Das liegt am wachsenden Rationalisierungsdruck auf Krankenhäuser. Obwohl die Hegemonie des Neoliberalismus seit der Krise 2008 Risse bekommen hat, hat sie das Gesundheitswesen erstaunlich fest im Griff.

Der Anteil privatwirtschaftlicher Kliniken hat sich seit 1992 von 15 auf 37 Prozent mehr als verdoppelt. Ein Fünftel aller Kliniken musste seitdem ganz schließen. Und das, obwohl sich die Anzahl derjenigen, die ein Krankenhaus aufsuchen, im selben Zeitraum erhöht hat. Die Folgen sind, dass Krankenpfleger*innen und Ärzt*innen bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gehen müssen und viel zu häufig sogar darüber hinaus. Immer weniger Personal hat immer mehr Patient*innen zu betreuen. Dadurch besteht die Gefahr, dass diese nicht mehr ordentlich versorgt werden können.

Sorge- und Pflegetätigkeiten lassen sich nicht bis ins Unendliche rationalisieren. Jedenfalls nicht, ohne dass die Gesundheit aller Betroffenen leidet: der Patient*innen und des Personals. Aber um’s Gesundwerden sollte es in Krankenhäusern doch eigentlich gehen.

Dass im Zuge dieser Entwicklung Geburtsstationen zunehmend von Schließungen bedroht sind, ist besonders perfide. Dabei ist spätestens seit Beginn der 2000er Jahre die Erhöhung der Geburtenrate zu einem Leitziel der staatlichen Familienpolitik erklärt worden. In den Ausbau von Kindertagesstätten und das Elterngeld wurde denn auch investiert. Bei diesen Maßnahmen geht es nicht nur um das Bedürfnis der Menschen, sondern auch um das Ziel, die Erwerbsrate von Frauen zu steigern. Zugleich wird die Gründung einer Familie – und das Gebären selbst – immer weiter erschwert. Im Übrigen wird es auch gefährlicher. Aufgrund der Unterversorgung und des Hebammenmangels in vielen Kliniken müssen werdende Mütter oft an mehrere Krankenhauspforten klopfen, bis sie endlich angenommen werden. Gerade auf dem Land können so gern mal anderthalb Stunden vergehen, bis man im Kreißsaal ankommt. Immer mehr Kinder kommen deshalb im Krankenwagen zur Welt. Wenn es nach Jens Spahn (CDU) geht, sollen Geburtsstationen sogar noch weiter reduziert werden. Der Gesundheitsminister will, dass sich Kliniken auf bestimmte Behandlungsbereiche spezialisieren. Das heißt im Endeffekt: weitere Wege für Patient*innen ebenso wie für Schwangere.

Auf die Spitze getrieben hat den Rationalisierungsdruck gerade in Geburtsstationen die Einführung einer Fallpauschale vor fast 20 Jahren. Die Vergütung, die ein Krankenhaus pro Behandlungsfall erhält, ist im Fall von Geburten besonders niedrig – und das, obwohl Geburten eine sehr langwierige Angelegenheit sein und sehr viel Personal binden können. Gibt es einen Kaiserschnitt, ist die Fallpauschale übrigens gleich doppelt so hoch – auch wenn der Eingriff oft viel schneller geht. Das Kinderkriegen lohnt sich für die Krankenhäuser meist einfach nicht, oft zahlen sie am Ende sogar drauf. Gebären ist der Profitlogik unterworfen.

Hinzu kommt, dass Kürzungen und Schließungen oft geräuschlos vollzogen werden. Anders lief das im Dezember in einer kleinen Stadt in Mecklenburg-Vorpommern: In Crivitz konnten Kundgebungen und Demonstrationen, getragen von einem breiten Bündnis, vorerst verhindern, dass die Frauen- und Geburtsstation zum Jahresende 2019 geschlossen wird. Das ist ein Erfolg, aber es wird ein Tropfen auf den heißen Stein bleiben, wenn sich am System nichts ändert.

Der Kapitalismus und sein Drang, aus immer weiteren Bereichen unserer Gesellschaft Profit zu schlagen, macht auch vor der öffentlichen Daseinsvorsorge keinen Halt. Aber die Entwicklung ist widersprüchlich. Es scheint, dass der Neoliberalismus derzeit in eine Hegemoniekrise gerät. Privatisierungen im großen Maßstab werden seltener durchgesetzt – außer im Gesundheitsbereich: Hier geht die Rationalisierung ständig weiter. Und das, obwohl das gerade beim Gebären besonders schwierig ist. Ein Schelm, wer auf die Idee kommt, es liege daran, dass hauptsächlich Frauen betroffen sind.

Zuerst veröffentlicht in der Zeitung neues deutschland, 18.02.2020

Zeit für die nächste Eskalationsstufe

Von Kerstin Wolter und Alex Wischnewski

Eine »neue Klassenpolitik« gilt derzeit für viele Linke als eine Hoffnungsträgerin, um angesichts der politischen und gesellschaftlichen Trends aus der allgemeinen Ratlosigkeit herauszukommen. Ihr Kern sind verbindende Praxen der in unterschiedliche Milieus und entlang geschlechtlicher und ethnischer Linien aufgespaltenen Arbeiter*innenklasse. Aus feministischer Sicht geht es gleichzeitig auch (schon immer) darum, dabei über den Tellerrand der Lohnarbeit hinauszublicken und auch die unentlohnte Sorge- und Hausarbeit in Analyse und Auseinandersetzungen miteinzubeziehen.

Doch während in Deutschland überwiegend über verbindende Praxen debattiert wird, haben die Frauen in Spanien schon einmal im großen Stil vorgelegt. Am 8. März beteiligten sich landesweit über fünf Millionen von ihnen an einem 24-stündigen feministischen Streik. Frauen blieben ihrer Erwerbsarbeit fern, organisierten sich an Universitäten, blockierten Straßen und Verkehrsmittel und ließen die Hausarbeit liegen – kurzum: Sie legten das Land für einen Tag in Teilen lahm und erreichten damit auch die oberste Riege der Politik.

Regierungschef Mariano Rajoy und seine konservative Partei Partido Popular änderten ebenso wie die sie unterstützende neoliberale Partei Ciudadanos inzwischen ihre bisher deutlich ablehnende Haltung. Einer Umfrage der Zeitung »El País« zufolge bekräftigen 82 Prozent, dass es gute Gründe für den Aufstand der Frauen gibt. Deren Eckpfeiler sind eben jene, die auch in Deutschland Frauen betreffen und zum Streiken anregen müssten: Entgeltdiskriminierung, ungleiche Aufteilung der unbezahlten Sorgearbeit und ihre mangelnde Absicherung mit fatalen Folgen für die eigenständige Existenzsicherung und Rente, sexualisierte Belästigung und Gewalt gegen Frauen usw.

Der Frauen*streik in Spanien ist ein historisches, aber kein für sich stehendes Ereignis. Er ist Anlass und Auftakt einer weit darüber hinausgehenden Organisierung und gesellschaftlichen Debatte. Schon in den vergangenen Jahren gab es in Spanien immer wieder feministische Großdemonstrationen – die aus Lateinamerika kommende Inspiration zu einem feministischen Generalstreik fiel deshalb auf fruchtbaren Boden. Und auch jetzt wollen die Organisatorinnen die durch den Streik entstandene Vernetzung dazu nutzen, ihre Forderungen in andere Mobilisierungen – wie etwa der Rentner*innen – hineinzutragen. Es ist also noch lange nicht vorbei.

Auch deshalb nicht, weil es eine Anregung für andere Länder sein kann, zum Beispiel für Deutschland. Sicher: Sowohl die Frauenbewegung als auch die Demonstrations- und Streikkultur sind hierzulande nur schwer mit jener in Spanien zu vergleichen. Die institutionelle Einbindung und damit oftmals auch Einhegung von großen Teilen der Frauenbewegung ist in den vergangenen Jahrzehnten sehr stark vorangeschritten. Eine ähnliche Entwicklung sehen wir bei den Gewerkschaften. Erst in letzter Zeit wird dies wieder stärker durchbrochen und herausgefordert. Die Debatte um sexuelle Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz, die Proteste gegen den Paragrafen 219a und die Streiks und die gewerkschaftliche Organisierung im Pflegebereich zeugen davon.

Doch der politische Streik ist in Deutschland verboten. Gemeinhin gilt, dass der Arbeitskampf den falschen Adressaten treffe, wenn sich die politischen Forderungen an den Staat und nicht allein an den Arbeitgeber richten würden. Es gibt aber Interpretations- und Handlungsspielräume. Nicht nur Marxistinnen verweisen darauf, dass Politik und Ökonomie vielfältig miteinander verwoben sind. Außerdem gäbe es eine ökonomisch bedingte Verteilung von Einflussnahmemöglichkeiten auf die politische Willensbildung. Frauen trifft dies in besonderer Weise, da sie durch ihre unentlohnte Arbeit zwar den Bereich der Produktion mit stützen, aber gleichzeitig soziale und ökonomische Abwertung und Ausgrenzung erfahren. Politische Streiks sind auch in Deutschland damit letztlich eine Frage der Legitimität – der Wahl der Mittel im Verhältnis zum Anliegen. Und die liegen auch in Deutschland auf der Straße, im Betrieb, in der Schule, der Küche, der Pflegeeinrichtung. Frauen haben lange genug für mehr Gleichberechtigung und eine Aufwertung ihrer Tätigkeiten verhandelt. Die Zeit ist reif für die nächste Eskalationsstufe.

Zuerst veröffentlicht in der Zeitung neues deutschland, 25.04.2018.