Kampf zwischen den Geschlechtern
Von Kerstin Wolter und Alex Wischnewski
In den Debatten um die anstehenden Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen rückt der Ossi wieder in den Fokus der Berichterstattung. Vor dem inneren Auge tauchen schlecht gelaunte Ost-Männer auf – die Wendeverlierer, die immer was zu meckern haben. Doch die Erzählung ist nicht überzeugend. Nicht nur, dass die Wende Frauen unweit härter traf – viele drehten dieses Schicksal auch wieder um.
Obwohl in den letzten Jahren der DDR fast alle Frauen im Osten erwerbstätig waren, waren sie es, die nach der Wende als erste ihre Arbeitsplätze räumen mussten. 1994 standen doppelt so viele Frauen wie Männer ohne Job da. Sie verloren auch die rechtliche Gleichberechtigung, wie sie den meisten Frauen bis heute verwehrt bleibt. Und doch sind sie heute erfolgreicher als viele männliche Ostbürger. Es lässt sich sogar behaupten, dass die Auseinandersetzung zwischen autoritär und liberal, zwischen rechts und links, auch eine ist, die zwischen den Geschlechtern stattfindet.
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Bei der Bundestagswahl 2017 wählten 16,3 Prozent der Männer AfD, von den Frauen waren es nur 9,2 Prozent. Im Osten weicht dieses Verhältnis nicht groß ab. Bei den vergangenen Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern war der Abstand zwischen weiblichen und männlichen AfD-Wähler*innen noch größer. Unter den mehr als 30 000 Mitgliedern der Partei liegt der Frauenanteil bei rund 15 Prozent.
Dass Frauen sich weniger von der AfD angesprochen fühlen als Männer, mag unter anderem an deren konservativer und menschenfeindlicher Programmatik liegen. Denn die richtet sich auch gegen die Geschlechtergleichstellung.Vielleicht neigen Frauen auch eher dazu, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, statt aus Protest zu wählen. Nicht wenige Berichte und Bücher sind in den vergangenen Monaten über den Aufstieg ostdeutscher Frauen erschienen. Demnach haben sich viele von ihnen nach dem Ende der DDR rascher aufgerafft und zu ihrem früheren Selbstbewusstsein zurückgefunden als Männer. Eine aktuelle Studie von RBB, MDR und der Universität Leipzig zeigt, dass ostdeutsche Frauen an den Spitzen von Wirtschaft, Politik und Justiz sogar erfolgreicher sind als West-Frauen. So sind in den Führungsetagen der 30 größten DAX-Unternehmen Deutschlands zwar insgesamt nur vier Ostdeutsche vertreten, davon sind jedoch drei Frauen. Das sind 75 Prozent. Der Anteil von westdeutschen Frauen unter westdeutschen Führungskräften beträgt lediglich zehn Prozent. Und auch in der Politik liegen ostdeutsche Frauen klar vor ihren westdeutschen Schwestern.
Trotz dieser Erfolgsgeschichten bleiben die ostdeutschen Spitzenfrauen meist unter sich. Es scheint, als seien sie mehr denn je Einzelkämpferinnen geworden; als würden sie ihre Ellenbogen mehr gegen Konkurrent*innen im Job einsetzen denn gegen die Bedrohung durch Rechte und ihre antifeministische, rassistische und antisoziale Ideologie. Bis heute verlassen Frauen eher die ostdeutsche Heimat, als sich mit den zurückbleibenden Männern anzulegen. Denjenigen, die bleiben und es dennoch tun, fehlt es bisher an ausreichend Rückhalt aus der Bevölkerung, auch unter Frauen.
Dass sich bis heute keine wirkmächtige feministische Bewegung entwickelte, hängt wohl mit den Enttäuschungen zusammen, die aus dem gescheiterten Versuch einer gesamtdeutschen Frauenbewegung Anfang der 1990er herrühren. Mit der Wende verloren DDR-Frauen nicht nur soziale Sicherheiten, sondern auch freiheitliche Rechte – allem voran ein modernes Abtreibungsrecht, von dem West-Frauen nur träumen konnten.
Der Kampf gegen das eingeführte Bundesgesetz wurde Anfang der 1990er zum Entstehungsmoment einer gemeinsamen Frauenbewegung aus Ost und West. Am Ende kam es jedoch nur zu einem Kompromiss, der für West-Frauen einen kleinen Fortschritt, aber für Ost-Frauen einen herben Verlust darstellte. Der verlorene Kampf führte zum Erliegen der noch jungen gesamtdeutschen Frauenbewegung jener Zeit.
Angesichts der Herausforderungen, vor die uns rechte Bewegungen und Parteien aktuell stellen: Wäre es nicht Zeit für einen neuen Aufbruch zu einer neuen breiten Frauenbewegung? Diese würde am Ende nämlich allen nutzen, nicht nur den Frauen im Osten Deutschlands.
Zuerst veröffentlicht in der Zeitung neues deutschland, 27.08.2019