Die bessere Hälfte
Von Kerstin Wolter und Alex Wischnewski
Zuerst erschienen bei taz, 31.08.2019
In den Debatten über die anstehenden Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen und über die Stärke der AfD erfährt die Figur des Ossis eine regelrechte Renaissance. Unmittelbar werden Bilder von Männern vor dem inneren Auge heraufbeschworen, kurzhaarig, miesepetrig, korpulent – Männer, die sich leicht einfangen ließen von rechten Versprechungen. Der Ossi habe schließlich einen Hang zum Autoritären. Erst der Kaiser, danach der Führer und schließlich die Diktatur des Proletariats.
Wer etwas differenzierter schaut, erkennt im Ossi immerhin einen Wendeverlierer, dem nicht nur die Arbeit genommen wurde, sondern auch Würde. Und trotzdem bleibt der Blick auf die – durch und durch – männliche Figur des Ostdeutschen gerichtet.
Dabei traf die Wende die Frauen ungleich stärker. Mehr noch als Arbeit und Würde verloren sie eine Gleichberechtigung, wie sie den meisten Frauen bis heute verwehrt bleibt. Umso eindrücklicher, dass insbesondere ostdeutsche Frauen ihr Schicksal drehten, während ihre männlichen Mitbürger häufiger auf die AfD bauen. Es lässt sich sogar behaupten, dass die Auseinandersetzung zwischen autoritär und liberal, zwischen rechts und links auch eine ist, die zwischen den Geschlechtern stattfindet.
Klar, auch in der DDR waren Frauen nicht vollständig gleichberechtigt, haben den Großteil der Hausarbeit und der Kindererziehung erledigt. Aber man muss – neben aller notwendigen Kritik an einem autoritären Staat – konstatieren, dass die Frauen in der DDR an vielen Stellen rechtlich und sozial bessergestellt waren als die Frauen in Westdeutschland. Sie gingen selbstverständlich einer Arbeit nach, führten Betriebe und den Haushalt – selbst der Sex im Osten soll besser gewesen sein.
In der DDR wurde der Grundsatz der erwerbstätigen Frau durch sozialpolitische Entscheidungen möglich. Am bekanntesten ist der Ausbau von Kindergärten und -krippen, aber auch die geschlechtsspezifischen Arbeitsstandards waren besser. Das blieb nicht ohne Folgen: 1989 waren 91 Prozent der Frauen berufstätig. In Westdeutschland waren es zur gleichen Zeit nur knapp die Hälfte.
Bis die Wende kam. Deren ökonomische Folgen sind auch 30 Jahre später noch spürbar. Schätzungen zufolge haben nach der Wende 80 Prozent der Ostdeutschen zeitweise oder dauerhaft ihren Job verloren. Die Frauen traf es trotz der formalen Gleichberechtigung am härtesten. 1994 waren doppelt so viele Frauen wie Männer erwerbslos. Vor allem die Abwicklungen im produzierenden Gewerbe, organisiert durch die Treuhand, gingen in erster Linie zulasten der Frauen. Man könnte meinen, dass der Westen dem Patriarchat im Osten ein Comeback bescherte. Man kann sich aber auch fragen, ob es jemals aufgehört hatte zu existieren. Es verwundert deshalb nicht, dass Frauen den Osten nach der Wende scharenweise verließen. Heute gibt es nicht wenige Gegenden, in denen ein Viertel mehr Männer leben als Frauen.
„Retraditionalisierungsschub“ unter jungen Ostfrauen
Eine Trendwende ist trotz des zunehmenden Zuzugs von Frauen in ostdeutsche Großstädte nicht zu erkennen. Doch die Gründe für die anhaltende, wenn auch gemäßigtere Abwanderung von Frauen haben sich gewandelt. War es in den 90er Jahren die Not auf der Suche nach Arbeit, so verlassen Frauen den Osten heute aufgrund mangelnder Infrastruktur und eines tief sitzenden Konservatismus, gerade auch in den männlich dominierten Chefetagen.
Wenn aber viele Frauen gehen, wer soll diese Strukturen aufbrechen und die Interessen der Frauen noch vertreten? Genau dieses Dilemma drückt sich im Aufschwung der AfD im Osten Deutschlands aus. Die AfD ist eine Männerpartei. Ihr Frauenanteil liegt bei 15 Prozent, und ihre Programmatik ist in weiten Teilen antifeministisch und frauenfeindlich. Unbestritten gibt es auch Frauen, die sich von der AfD und ihrem Programm angesprochen fühlen. Es ist ein alarmierendes Zeichen, dass eine vor Kurzem erschienene Studie einen „Retraditionalisierungsschub“ unter jungen Ostfrauen feststellte. Doch trotz der Ambivalenzen ist das Ergebnis aktuell noch mehr als deutlich: Egal ob bei Bundestagswahlen oder den Landtagswahlen im Osten – der Abstand zwischen weiblichen und männlichen AfD-Wählern ist enorm.
Diese starke Tendenz mag auch daran liegen, dass sich viele Frauen nach dem Ende der DDR rascher aufgerafft und zu ihrem früheren Selbstbewusstsein zurückgefunden haben, statt leeren Reden zu folgen. Ostdeutsche Frauen sind an den Spitzen von Wirtschaft, Politik und Justiz sogar erfolgreicher als Westfrauen. So sind in den Führungsetagen der 30 größten DAX-Unternehmen Deutschlands zwar insgesamt nur vier Ostdeutsche vertreten, davon sind jedoch drei Frauen. Das sind ganze 75 Prozent.
Der Anteil von westdeutschen Frauen unter westdeutschen Führungskräften beträgt lediglich 10 Prozent. Und auch in der Politik liegen ostdeutsche Frauen klar vor ihren westdeutschen Schwestern. Ostdeutsche Politikerinnen wie Angela Merkel, Manuela Schwesig, Katrin Göring-Eckardt, Sarah Wagenknecht oder Katja Kipping stehen heute an der Spitze ihrer Parteien und Bundestagsfraktionen. Sie sind gleichzeitig die Hassfiguren der neuen Rechten.
Doch trotz dieser Erfolgsgeschichten bleiben die ostdeutschen Spitzenfrauen meist unter sich. Bis heute verlassen sie eher die ostdeutsche Heimat, als sich mit den zurückbleibenden Männern anzulegen. Denjenigen, die bleiben und es dennoch tun, fehlt es bisher an ausreichend Rückhalt aus der Bevölkerung. Ein Aufruf zur feministischen Remigration des Ostens kann zwar nicht die Lösung sein. Den Osten der AfD und Pegida zu überlassen, aber auch nicht.
Bereits zu Beginn der 1990er Jahre scheiterte der Versuch einer neuen gesamtdeutschen Frauenbewegung an unterschiedlichen Vorstellungen und verlorenen Kämpfen. Angesichts eines drohenden Faschismus: Wäre es da nicht an der Zeit für einen neuen Aufbruch in diese Richtung? So ein Aufbruch würde am Ende übrigens allen nützen, nicht nur den Frauen im Osten.