Vereinen, was sie spalten
Von Kerstin Wolter und Alex Wischnewski
Die Bewegung für einen Frauen*streik in Deutschland nimmt derzeit rasant Fahrt auf. Von Hamburg bis München und von Freiburg bis Rostock haben sich inzwischen 20 Streikkomitees und Netzwerke gegründet, fast wöchentlich kommen neue hinzu. In Berlin beteiligten sich an der letzten Streikversammlung 140 Frauen*. Zum ersten bundesweiten Vernetzungstreffen in Göttingen kamen rund 400 Frauen*. Am Ende stand ein im Konsens verabschiedeter Aufruf zum Streik. So etwas gab es tatsächlich schon lange nicht mehr.
Doch wie immer in feministischen Organisierungen gibt es auch Konflikte und Kritiken. Kritik am Aufruf und seiner fehlenden Zuspitzung auf wenige zentrale Forderungen, Kritik am Prozess und der Unsichtbarkeit bestimmter Gruppen, Kritik an der Zusammensetzung der Organisator*innen: zu weiß, zu akademisch, zu wenig queer. Vieles davon ist richtig. Es einfach abzutun, würde jedoch dem eigenen Anspruch widersprechen, viele unterschiedliche Menschen zu erreichen.
In den Vorbereitungen für das Göttinger Treffen standen Teilhabemöglichkeiten im Fokus. Es gab Übersetzungen in vier Sprachen, eine soziale Umlage bei den Fahrtkosten, eine kostenlose Schlafplatzbörse und den gemeinsamen Willen, eine möglichst alle einschließende Redeweise zu finden. Dennoch fühlten sich viele darin noch nicht restlos aufgehoben oder blieben dem Treffen fern.
Durch die theoretische Debatte um Intersektionalität ist uns das heute zumindest sehr viel bewusster. Sie hat gezeigt, wie die Verschränkung verschiedener Herrschaftsverhältnisse, wie Herkunft, Geschlecht und sozialer Klasse, jeweils spezifische Betroffenheiten, Ausschlüsse, aber auch Handlungsmöglichkeiten erzeugt. Ein frühes Beispiel war die Kritik schwarzer Frauen an der Politik weißer Frauen gegen häusliche Gewalt. Die schwarzen Frauen konnten oder wollten aufgrund der rassistisch aufgeladenen Stimmung nicht in gleicher Weise gegen ihre Partner öffentlich werden.
Dass diese Kritik häufig nicht miteinander ausgehandelt wird, liegt auch daran, was uns tagtäglich und von klein auf voneinander trennt. Denken wir allein an die Spaltungen entlang von Bildungszugängen. In Deutschland werden Kinder oftmals ab der vierten Klasse danach eingeteilt, mit welchem Abschluss sie die Schule beenden werden. Die Verteilung der Chancen wird dabei häufig über unsere soziale Herkunft geregelt, darüber, ob im Elternhaus Deutsch gesprochen wird oder ob wir erst vor kurzem mit unseren Familien in die Bundesrepublik gekommen sind. Auf welche Schule wir gehen, entscheidet nicht nur darüber, welchen Job wir bekommen. Studien zufolge heiraten Menschen zunehmend in der eigenen sozialen Bildungsblase. Was gespalten ist, bleibt so gespalten. Eine Einladung zu einem Planungstreffen, einer Veranstaltung oder einem Workshop – und sei alles noch so barrierefrei vorbereitet – wird daran leider erst mal nur wenig ändern.
Und das ist auch kein Wunder. Eine Bewegung wird nicht in der Lage sein, alle Spaltungen, die der Kapitalismus täglich produziert, von heute auf morgen zu überwinden. Doch wie gehen wir damit um? Sich einfach zurückzulehnen oder wütend auf die Kritiker*innen zu werden, ist der falsche Weg. Denn es ist eine schwierige und noch lange nicht abgeschlossene Aufgabe. Es liegt an uns, daran zu arbeiten, die vielfältigen Spaltungen zu überwinden. Auch darum geht es bei den Planungen für einen Frauen*streik.
Die Aktiven tun dies, indem sie sich dezentral organisieren, aber solidarisch aufeinander beziehen. Indem es keine festen Orte und keine für alle bindenden Entscheidungen gibt – denn kein Ort wird für alle zugänglich sein. Indem es verschiedene Aufrufe geben soll und kann, die Raum für viele Stimmen und viele Forderungen bieten. Indem sie ihre unterschiedlichen Realitäten gegenseitig kennenlernen und gemeinsam sichtbar machen, auch wenn diese für den Moment im Widerspruch stehen. Besonders deutlich wird dies etwa daran, dass das kollektive Subjekt »Frau«, das der Streik anruft, für viele ältere Feministinnen ein erkämpftes ist, das sie aus der Unsichtbarkeit der Geschichte herausholt. Für andere wiederum ist es eine Kategorie, die überwunden werden soll. Die Frauen*streik-Bewegung ist aber auch eine Lernbewegung, die uns alle prägen und über den 8. März hinausreichen wird.
Zuerst veröffentlicht in der Zeitung neues deutschland, 05.12.2018