Altes Familienbild in digitalen Farben
Von Kerstin Wolter und Alex Wischnewski
Heute ist der 1. Mai – der internationale »Tag des Arbeiters« (und der Arbeiterin!), der in Deutschland jedoch bemerkenswerterweise zum »Tag der Arbeit« umgedeutet wurde. Immerhin wissen Gendersternchen-Anhängerinnen: Was nicht mitgesagt wird, wird nicht automatisch mitgemeint. Hierzulande mag diesem Tag also nicht zufällig etwas mehr fehlen als nur zwei Buchstaben. Eben wegen dieser Wirkungskraft von Namen begingen Feministinnen am 1. Mai auch immer wieder den »Tag der unsichtbaren Arbeit«, um auf die vielen unbezahlten Tätigkeiten insbesondere im Privathaushalt hinzuweisen.
Allerdings ist es heute teils gar nicht mehr so einfach zu sagen, ob man nun gerade bezahlt oder unbezahlt, sichtbar oder unsichtbar arbeitet. Durch neue Möglichkeiten im Zuge der Digitalisierung verschwimmen die Grenzen zunehmend und werden komplexer. Auch die Geschlechterverhältnisse werden dabei undeutlicher, was die Arbeitsteilung angeht bleiben sie letzten Endes aber erstaunlich intakt. Ist die digitale Revolution etwa gar nicht so tiefgreifend?
In vielen – neu entstehenden Berufsfeldern – war es schon länger nicht mehr klar, ob wir beim Feierabendbier mit den Kolleg*innen gerade eigentlich Spaß haben oder tatsächlich am Netzwerken sind, um beim nächsten Projekt berücksichtigt zu werden. Jetzt führt die Digitalisierung zusätzlich dazu, dass immer mehr Menschen von überall arbeiten können. Und häufig auch wollen, denn dadurch lässt sich Arbeit und Freizeit oft besser vereinbaren. Auf jeden Fall aber sollen, da die räumliche Flexibilisierung des Öfteren mit einer zeitlichen einhergeht.
Diese Flexibilisierung führt aber auch dazu, dass sich die Grenzen der Erwerbsarbeit auflösen – mit unterschiedlichen Folgen für die Geschlechter. Tatsächlich leisten Männer im Ergebnis mehr unbezahlte Arbeit. Leider drückt sich diese nur in unbezahlten Überstunden aus. Frauen hingegen neigen dazu, im Home-Office zusätzlich Haus- und Erziehungstätigkeiten zu leisten. Sicherlich, das Paar, das sich heute gleichermaßen in die vollkommene Verfügbarkeit durch den Arbeitgeber wirft, lagert die Repro-Arbeiten zunehmend an externe, prekär arbeitende und häufig migrantische Haushaltshilfen aus. Doch in den meisten Fällen ist es sogar so, dass Frauen, die entgrenzten beruflichen Mehrarbeiten von Männern dadurch auffangen, dass sie in Teilzeit gehen, um noch mehr der Sorgearbeit aufzufangen. Altes Familienbild in digitalen Farben? Klaro!
Um noch eine Schippe Zynismus draufzulegen: Für viele wird sich die Frage, wie die bezahlte und die unbezahlte Arbeit in der Partnerschaft aufgeteilt wird, wahrscheinlich gar nicht stellen, da die Frau mit fortschreitender Automatisierung ihren Job zuerst verliert. Es dominiert zwar eindeutig die Erzählung von der Digitalisierung als Bedrohung von Millionen von Arbeitsplätzen in der verarbeitenden Industrie. Tatsächlich werden jedoch die meisten Jobverluste durch Digitalisierung in den Bereichen Büro- und Sekretariatskräfte, im Verkauf und in der Gastronomie erwartetet. Wie es der Zufall will, arbeiten in diesen Bereichen mehrheitlich Frauen.
Nicht falsch verstehen: Die Digitalisierung ist nicht nur ein Fluch. Sie ist eben nur so zerstörerisch oder schöpferisch, wie die Gesellschaft gerecht oder ungerecht, demokratisch oder autoritär – oder eben patriarchal oder emanzipatorisch ist. Was es also braucht, ist ein Umbruch in der Arbeitswelt, der das Leben nicht aus dem Blick verliert.
Aus diesem Grund sollte eine Linke, statt fast ausschließlich auf die Arbeit von Männern zu schauen, sich vielleicht eher an den Realitäten von Frauen orientieren. Für die Mehrheit von ihnen gehören Erwerbs- und Sorgetätigkeiten bereits gleichwertig zum Leben dazu – ob gewollt oder ungewollt. Die neuen Möglichkeiten der Arbeitserleichterung in der entlohnten Arbeit wie auch der zu Hause durch die Digitalisierung öffnen ein Fenster, um über neue Formen des Arbeitens und Lebens nachzudenken. Die Linke sollte dringend in diese Debatte einsteigen und Vorschläge machen, dass aus Arbeitserleichterungen keine neuen Arbeitsbelastungen werden und aus Möglichkeiten der Arbeitsumverteilung keine neuen Abhängigkeiten entstehen. Die aktuellen Prozesse durch die feministische Brille zu beobachten, könnte so manche Klarheit ins patriarchal verstellte Weltbild bringen.
Zuerst veröffentlicht in der Zeitung neues deutschland, 01.05.2019