Teil feministischer Kämpfe
Von Kerstin Wolter und Alex Wischnewski
Ein Dach über dem Kopf zu haben, ist ein soziales Menschenrecht. Und doch ist es für viele Menschen immer weniger eine Selbstverständlichkeit. Vor allem durch steigende Mieten werden sie verdrängt und aus ihren Nachbarschaften und sozialen Zusammenhängen herausgerissen. Deshalb gehen immer mehr Menschen für bezahlbaren Wohnraum auf die Straßen. So etwa am internationalen Aktionstag, dem 6. April, in vielen Städten Deutschlands und Europas. Auch Feministinnen sollten sich noch stärker für diesen Kampf einsetzen – es ist ein gemeinsamer.
Von einem »sicheren« Heim zu sprechen, hat für Frauen eine doppelte Bedeutung. In der Statistik des Bundeskriminalamtes zu Partnerschaftsgewalt für das Jahr 2017 werden 56.002 weibliche Opfer von Mord, Totschlag und Körperverletzungen gezählt, die mit dem Täter in einem gemeinsamen Haushalt lebten. Das macht rund die Hälfte der weiblichen Opfer von Partnerschaftsgewalt aus. Nicht umsonst hat sich der Begriff »häusliche Gewalt« tief im Sprachgebrauch festgesetzt – auch wenn Feministinnen schon lange betonen, dass die Gewalt nicht zum Haus gehöre, kein bloßer »Haushaltsunfall« sei. Es ist und bleibt männliche Gewalt gegen Frauen.
Die Dunkelziffer von Gewalt im eigenen Zuhause ist noch viel höher, denn sehr viele Frauen zeigen sie nicht an und ertragen sie über lange Zeiträume. Die Gründe davon sind vielschichtig. Auch der Mangel an bezahlbarem Wohnraum spielt dabei eine Rolle.
Frauen machen den Großteil des wachsenden Niedriglohnsektors aus, haben im Durchschnitt ein um 37 Prozent geringeres Jahreseinkommen als Männer und erhalten deshalb und aufgrund von Teilzeitjobs oft nur sehr kleine Renten. Viele können sich keine eigene Wohnung leisten und bleiben in der Gewaltspirale gefangen. Das ist auch der Grund, weshalb die Aufenthaltsdauer in Frauenhäusern immer länger wird. Da es ohnehin viel zu wenig Frauenhausplätze gibt, erhöht das den Druck umso mehr. Fast 20 000 Frauen und ihre Kinder müssen jährlich von Frauenhäusern abgewiesen werden. Wo gehen sie hin? Viele kehren zum Partner zurück. Während Studien unisono belegen, dass Partnerschaftsgewalt in allen Schichten vorkommt, trifft diese Problematik eben nur sozial marginalisierte Frauen – deren Anzahl zunimmt. Andere leiden (zusätzlich) unter einer rassistischen Wohnungsvergabepraxis. Die Mietenpolitik gefährdet ihr Leben also ganz konkret.
Aber körperliche Gewalt ist nur das vielleicht extremste Beispiel für die spezifische Unsicherheit, die gering verdienende und arme Frauen durch die Mietenkrise erfahren. In Deutschland gibt es rund 1,6 Millionen Alleinerziehende, 98 Prozent davon sind Frauen. Sie sind die größte Risikogruppe für Armut. 40 Prozent von ihnen sind von Hartz IV betroffen. Verdrängung durch Mietsteigerungen hat für Kinder von Alleinerziehenden noch eine zusätzliche Bedeutung, nämlich den Wechsel der Schule, den Verlust des Freundeskreises, der Freizeitangebote und -einrichtungen. Viele Alleinerziehende werden es daher vermutlich versuchen, den Umzug möglichst weit hinauszuzögern. Das zumindest sind wahrscheinliche Erklärungen dafür, dass immer mehr alleinerziehende Frauen mit ihren Kindern zwangsgeräumt werden.
Auch wenn insgesamt nur ein Viertel aller Wohnungslosen Frauen sind, nimmt auch ihre Anzahl drastisch zu. Der Unterschied ist nur, dass Wohnungslosigkeit bei Frauen meist anders aussieht als bei Männern. Im Unterschied zur sichtbaren Wohnungslosigkeit von Männern ist sie bei Frauen meist verdeckt. Das bedeutet, dass sie nicht auf der Straße oder in mit Männern geteilten Notfallunterkünften landen, sondern prekär bei Bekannten und Verwandten wohnen. Einige Frauen kommen auch bei Zweckpartnern unter, zu denen sie nur für die Möglichkeit zu wohnen eine Beziehung führen. So entsteht Abhängigkeit.
Die Kämpfe um das Recht auf Wohnen sind demnach auch Teil der feministischen Kämpfe. Praktisch gemacht haben das beispielsweise die Aktivist*innen der Initiative »Zwangsräumungen stoppen«, die am 8. März zur Teilnahme an der Berliner Frauen*kampftags-Demonstration aufgerufen haben. Am Samstag wird es auf der Berliner Demonstration gegen den Mietenwahnsinn auch einen Block vom Frauen*streik geben. Es sind diese Verbindungen, die wir in Zeiten sozialer und kultureller Spaltung brauchen.
Zuerst veröffentlicht in der Zeitung neues deutschland, 03.04.2019