Einstiegsdroge Frauenhass
Von Kerstin Wolter und Alex Wischnewski
Der Feminismus ist an vielem schuld – an niedrigen Geburtenraten, an gescheiterten Ehen, am Vereinsamen von Männern wie Frauen und an der Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt. Wer kann da nicht verstehen, dass bei so manchem Mann das Frustrationspotenzial aktuell besonders hoch ist, angesichts von Kampagnen wie Aufschrei, MeToo, den weltweiten Frauenmärschen und anderen feministischen Bewegungen. Es ist Zeit, sich zu wehren, liebe Männer! – Aber das tun einige von Euch ja bereits.
Weltweit organisieren sich immer mehr Männer in antifeministischen Männerrechtsbewegungen. In zahlreichen Online-Communities tauschen sie sich darüber aus, dass der Feminismus ihre gesellschaftliche Vormachtstellung infrage stellt, ebenso wie ihr natürliches Recht auf Sex. »Incel« heißt eine dieser Bewegungen in den USA und Kanada und steht für »involuntary celibate« (unfreiwillige Enthaltsamkeit). Emanzipierte Frauen werden zum Hassobjekt ausgerufen. Bei der Amokfahrt in Toronto im April und bei einem Attentat 2014 in den USA gipfelte dieser Hass in der Ermordung von Frauen. Beide Attentäter waren Anhänger der Incel-Bewegung und werden in Online-Foren als Helden gefeiert.
Auch in Deutschland existieren Gruppen und Foren wie agens, MANNdat und wgvdl.com, auf denen Männer sich auf ihr »Mann-Sein« besinnen. Die »Manosphere« ermöglicht ihnen eine leichtere und engere Vernetzung, eine gegenseitige Bestärkung und Aufstachelung. Auffällig ist dabei die Nähe zu rechter Ideologie. Auf dem »feminismusfreien« Internetlexikon WikiMANNia gehen Antifeminismus, Antikommunismus, Nationalismus und Rassismus eine unheilige Allianz ein.
Für viele, die sich dort tummeln, ist Frauenhass eine Art Einstiegsdroge für andere Formen des Hasses und der Menschenfeindlichkeit. Es ist kein weiter Weg von einer Vorstellung, sich als Opfer der Frauenemanzipation zu sehen bis zu einer Ansicht, der weiße Mann müsse die nationale Souveränität retten. Björn Höckes berühmt gewordene Rede 2015 in Erfurt, in der er die Wiederentdeckung der Männlichkeit als Voraussetzung für eine notwendige Wehrhaftigkeit bezeichnete, ist dafür nur ein hervorstechendes Beispiel.
Während Frauen noch immer viel weniger verdienen als Männer, viel häufiger Opfer häuslicher und sexualisierter Gewalt werden und nicht vollkommen selbstbestimmt über den Abbruch einer Schwangerschaft entscheiden dürfen, reden Männerrechtler von Genderwahn, Genderterror und Genderdiktatur. Und dieser Hass hat Folgen. So steigt das Risiko von Frauen, Partnerschaftsgewalt ausgesetzt zu sein genau dann, wenn traditionelle Geschlechterarrangements freiwillig oder unfreiwillig infrage gestellt werden – bei einem Trennungswunsch etwa oder wenn der Mann den Arbeitsplatz verliert. 149 Frauen wurden in Deutschland 2016 von ihren (Ex-)Partnern getötet.
Materielle Unsicherheit und Not können also paradoxerweise dazu führen, dass traditionelle Geschlechterrollen infrage gestellt werden und gleichzeitig in eine Bedrohung für Frauen umschlagen. Es ist deshalb auch nicht verwunderlich, dass sich die neue antifeministische Männerrechtsbewegung erstmals zu Beginn der 1990er Jahre formierte. In einer Zeit, in der sich Deutschland nach der Wiedervereinigung im nationalen Freudentaumel befand, eine neue Welle rassistischer Gewaltverbrechen das Land überzog und in der die Zukunft – vor allem für Ostdeutsche – von materiellen Unsicherheiten geprägt war. Ebenso erlangen Männerrechtsbewegungen – wie die gesamte Rechte – seit der Krise 2008 wieder an Aufwind.
Während die Rechten den Feminismus zum Feindbild erklären, wird leider auch in Teilen der Linken darüber diskutiert, ob nicht nur materielle Unsicherheiten, sondern auch Gleichstellungspolitik den Aufstieg der Rechten befeuert hätten. Feminismus würde »den Arbeiter« verschrecken, der sein Kreuz dann lieber bei der AfD mache. Doch Frauenemanzipation ist genau so wenig für den Aufstieg der Rechten verantwortlich, wie er es für das Aufkommen von Antifeminismus ist. Die Zunahme von Gewalt gegen Frauen, die neue Infragestellung erkämpfter Frauenrechte und der Frauenhass, der sich im Netz und auf der Straße breit macht, lassen nur eine Schlussfolgerung zu: Wir brauchen mehr Feminismus, nicht weniger.
Zuerst veröffentlicht in der Zeitung neues deutschland, 29.05.2018