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Mit Herzblut und Ausdauer

Von Kerstin Wolter und Alex Wischnewski

Es herrscht Katerstimmung. Bei den jüngsten Wahlen zum Europäischen Parlament hat die deutsche LINKE mit 5,5 Prozent ein spürbares Minus eingefahren. Das Ergebnis stellt in der europäischen Parteienfamilie aber keine Ausnahme dar. Es ist einiges ins Rollen geraten und der Hang fällt dabei steil ab nach rechts. Denn die rechten Parteien werden im kommenden EU-Parlament eine noch größere Rolle spielen.

Damit setzt sich ein Trend im Europäischen Parlament fort. In immer mehr Ländern sitzen Rechte in der Regierung – in Ungarn, Polen, Italien und bis vor kurzem in Finnland und Österreich – und nahmen aus dieser Position schon vor der Wahlnacht Einfluss auf die gesamte EU, etwa in migrationspolitischen Fragen.

Alle rechten Parteien haben dabei gemein, einen nationalistischen und sehr EU-kritischen bis zu EU-ablehnenden Kurs zu fahren. Darüber wurde intensiv diskutiert. Im Windschatten laufen aber auch andere Themen mit. Denn die Rechten haben noch etwas Anderes gemein: sie wollen das Liberale in Europa bekämpfen. Und damit sind keine wirtschaftsliberalen Positionen gemeint, sondern die Einschränkung der Rechte von Frauen, Migrant*innen und Queers.

Gerade bei den rechten Parteien, die jetzt Zulauf bekommen haben, spielen geschlechterpolitische Fragen – neben migrationspolitischen – eine zentrale Rolle. Oder besser gesagt, Anti-Feminismus und der Kampf gegen den »Genderwahn« sind Themen, auf die sich irgendwie alle einigen können. Da heißt es dann »Schutz der Familie« und meint eigentlich »Frauen in die Kinderproduktion«. Zum Dank gibt’s dann das Mutterkreuz.

Im EU-Wahlprogramm der AfD kommt das Wort »Frau« übrigens ganze zwei Mal vor. Da geht es dann um die Unterdrückung der Frau im Islam – auch eines der Lieblingsthemen von Marine Le Pen – und darum, dass die AfD »Chancengleichheit« zwischen Frauen und Männern schon gut findet, aber bitte keine Extrawürste für Frauen will. Alle Extrawürste (das heißt dann Gender-Mainstreaming) sollen künftig gestrichen werden. Man möchte fast lachen, wenn es nicht so traurig wäre. Noch trauriger ist, dass die Linke in Europa gerade immer weniger in der Lage scheint, dieser Entwicklung etwas entgegenzusetzen.

Stattdessen beschäftigen sich einige wieder mit einer bekannten Debatte: Hätte DIE LINKE mit einem stärkeren Bekenntnis zu Europa oder mit einem offenen Anti-EU-Kurs besser punkten können? Angesichts der fast flächendeckenden Verluste europäischer Linksparteien – ganz egal, welchen Kurs sie in dieser Frage eingeschlagen hatten – führt diese Debatte jedoch offensichtlich ins Nichts.

Vielmehr haben die Kernthemen der Linken, nämlich soziale Gerechtigkeit und Friedenspolitik, in der aktuellen Auseinandersetzung um Europa keine entscheidende Rolle gespielt. Es sind aber eben diese Themen mit denen DIE LINKE am meisten verbunden wird. Es ist also nur logisch, dass viele Wähler*innen dachten, dass sie in der polarisierten Debatte wenig beizutragen habe.

Der Wahlkampf drehte sich in erster Linie um die Haltung zur EU als Institution an sich, um die Klimafrage und das Dauerthema Migration. Davon haben vor allem jene Parteien profitiert, die eine eindeutige (und einfache) Haltung in diesen Fragen hatten. Es sind die Grünen, die Rechten und in Teilen die Liberalen. Wenn auch auf unterschiedlich hohem Niveau.

Die einen feiern die EU hauptsächlich ab, die anderen wollen sie einstampfen. Differenzierte Zwischentöne wie die der Linken waren uninteressant oder noch mehr waren das eindeutige Ja und Nein schon von anderen Parteien belegt.

Es ist augenscheinlich, dass eine progressive Neuordnung der EU nicht unmittelbar bevorsteht. Also bleibt der neuen Linksfraktion wohl schlicht nichts Anderes übrig als sich in die Mühlen des europäischen Parlamentsbetriebes zu begeben. Es ist auch nicht so, als gäbe es hier gar nichts zu holen.

Auch wenn die EU-Institutionen wenig demokratisch aufgebaut sind, hat der frauenpolitische Ausschuss im Europaparlament – bisher geleitet von Malin Björk von der schwedischen Vänsterpartiet (Linkspartei) – das Recht, sich in jeden Gesetzgebungsprozess frauenpolitisch einzuschalten. Faktisch bedeutet das viel mehr Einfluss als DIE LINKE in Gesetzgebungsprozessen im hiesigen Parlament hat, ohne das hierzulande noch viele Linke von dessen Abschaffung reden.

Doch die frauenpolitischen Interventionen haben auch ihre Grenzen. Ökonomische und soziale Ungleichheiten innerhalb der EU, werden auch nicht besser, wenn sie geschlechtergerecht gestaltet werden. Mit der neuen Stärke rechter Fraktionen werden es künftig jedoch alle feministischen Vorschläge schwerer haben.

Ob man sich als Feministin mehr oder weniger auf die EU beziehen sollte, ist auch deshalb am Ende eine müßige Frage, da die EU-Politik von den wirtschaftsstärksten Ländern und der politischen Ausrichtung ihrer nationalen Parteien dominiert wird. Für Linke wird sich ohne eine progressive, sozialistische Regierung in Deutschland nur schwer etwas an der in den Verträgen von Maastricht und Lissabon eingeschriebenen neoliberalen und undemokratischen Politik ändern.

An dieser Politik hat auch Deutschlands Dominanz in der EU einen gewichtigen Anteil. Unser Kampf im Herzen der Bestie hat also noch nichts an Aktualität verloren. Der lokale Widerstand braucht den solidarischen Bezug auf progressive Bewegungen und Regierungen in anderen Ländern. Beispiele dafür gibt es schon. Sei es in der Vernetzung der solidarischen Städte oder der neuen Vernetzung der europäischen Frauen*streikbewegung. Eine internationale und feministische Solidarität kann nur von unten aufgebaut werden. Hier hilft nur Ausdauer und Herzblut statt einfacher Antworten.

Zuerst veröffentlicht in der Zeitung neues deutschland, 31.05.2019

Altes Familienbild in digitalen Farben

Von Kerstin Wolter und Alex Wischnewski

Heute ist der 1. Mai – der internationale »Tag des Arbeiters« (und der Arbeiterin!), der in Deutschland jedoch bemerkenswerterweise zum »Tag der Arbeit« umgedeutet wurde. Immerhin wissen Gendersternchen-Anhängerinnen: Was nicht mitgesagt wird, wird nicht automatisch mitgemeint. Hierzulande mag diesem Tag also nicht zufällig etwas mehr fehlen als nur zwei Buchstaben. Eben wegen dieser Wirkungskraft von Namen begingen Feministinnen am 1. Mai auch immer wieder den »Tag der unsichtbaren Arbeit«, um auf die vielen unbezahlten Tätigkeiten insbesondere im Privathaushalt hinzuweisen.

Allerdings ist es heute teils gar nicht mehr so einfach zu sagen, ob man nun gerade bezahlt oder unbezahlt, sichtbar oder unsichtbar arbeitet. Durch neue Möglichkeiten im Zuge der Digitalisierung verschwimmen die Grenzen zunehmend und werden komplexer. Auch die Geschlechterverhältnisse werden dabei undeutlicher, was die Arbeitsteilung angeht bleiben sie letzten Endes aber erstaunlich intakt. Ist die digitale Revolution etwa gar nicht so tiefgreifend?

In vielen – neu entstehenden Berufsfeldern – war es schon länger nicht mehr klar, ob wir beim Feierabendbier mit den Kolleg*innen gerade eigentlich Spaß haben oder tatsächlich am Netzwerken sind, um beim nächsten Projekt berücksichtigt zu werden. Jetzt führt die Digitalisierung zusätzlich dazu, dass immer mehr Menschen von überall arbeiten können. Und häufig auch wollen, denn dadurch lässt sich Arbeit und Freizeit oft besser vereinbaren. Auf jeden Fall aber sollen, da die räumliche Flexibilisierung des Öfteren mit einer zeitlichen einhergeht.

Diese Flexibilisierung führt aber auch dazu, dass sich die Grenzen der Erwerbsarbeit auflösen – mit unterschiedlichen Folgen für die Geschlechter. Tatsächlich leisten Männer im Ergebnis mehr unbezahlte Arbeit. Leider drückt sich diese nur in unbezahlten Überstunden aus. Frauen hingegen neigen dazu, im Home-Office zusätzlich Haus- und Erziehungstätigkeiten zu leisten. Sicherlich, das Paar, das sich heute gleichermaßen in die vollkommene Verfügbarkeit durch den Arbeitgeber wirft, lagert die Repro-Arbeiten zunehmend an externe, prekär arbeitende und häufig migrantische Haushaltshilfen aus. Doch in den meisten Fällen ist es sogar so, dass Frauen, die entgrenzten beruflichen Mehrarbeiten von Männern dadurch auffangen, dass sie in Teilzeit gehen, um noch mehr der Sorgearbeit aufzufangen. Altes Familienbild in digitalen Farben? Klaro!

Um noch eine Schippe Zynismus draufzulegen: Für viele wird sich die Frage, wie die bezahlte und die unbezahlte Arbeit in der Partnerschaft aufgeteilt wird, wahrscheinlich gar nicht stellen, da die Frau mit fortschreitender Automatisierung ihren Job zuerst verliert. Es dominiert zwar eindeutig die Erzählung von der Digitalisierung als Bedrohung von Millionen von Arbeitsplätzen in der verarbeitenden Industrie. Tatsächlich werden jedoch die meisten Jobverluste durch Digitalisierung in den Bereichen Büro- und Sekretariatskräfte, im Verkauf und in der Gastronomie erwartetet. Wie es der Zufall will, arbeiten in diesen Bereichen mehrheitlich Frauen.

Nicht falsch verstehen: Die Digitalisierung ist nicht nur ein Fluch. Sie ist eben nur so zerstörerisch oder schöpferisch, wie die Gesellschaft gerecht oder ungerecht, demokratisch oder autoritär – oder eben patriarchal oder emanzipatorisch ist. Was es also braucht, ist ein Umbruch in der Arbeitswelt, der das Leben nicht aus dem Blick verliert.

Aus diesem Grund sollte eine Linke, statt fast ausschließlich auf die Arbeit von Männern zu schauen, sich vielleicht eher an den Realitäten von Frauen orientieren. Für die Mehrheit von ihnen gehören Erwerbs- und Sorgetätigkeiten bereits gleichwertig zum Leben dazu – ob gewollt oder ungewollt. Die neuen Möglichkeiten der Arbeitserleichterung in der entlohnten Arbeit wie auch der zu Hause durch die Digitalisierung öffnen ein Fenster, um über neue Formen des Arbeitens und Lebens nachzudenken. Die Linke sollte dringend in diese Debatte einsteigen und Vorschläge machen, dass aus Arbeitserleichterungen keine neuen Arbeitsbelastungen werden und aus Möglichkeiten der Arbeitsumverteilung keine neuen Abhängigkeiten entstehen. Die aktuellen Prozesse durch die feministische Brille zu beobachten, könnte so manche Klarheit ins patriarchal verstellte Weltbild bringen.

Zuerst veröffentlicht in der Zeitung neues deutschland, 01.05.2019

Teil feministischer Kämpfe

Von Kerstin Wolter und Alex Wischnewski

Ein Dach über dem Kopf zu haben, ist ein soziales Menschenrecht. Und doch ist es für viele Menschen immer weniger eine Selbstverständlichkeit. Vor allem durch steigende Mieten werden sie verdrängt und aus ihren Nachbarschaften und sozialen Zusammenhängen herausgerissen. Deshalb gehen immer mehr Menschen für bezahlbaren Wohnraum auf die Straßen. So etwa am internationalen Aktionstag, dem 6. April, in vielen Städten Deutschlands und Europas. Auch Feministinnen sollten sich noch stärker für diesen Kampf einsetzen – es ist ein gemeinsamer.

Von einem »sicheren« Heim zu sprechen, hat für Frauen eine doppelte Bedeutung. In der Statistik des Bundeskriminalamtes zu Partnerschaftsgewalt für das Jahr 2017 werden 56.002 weibliche Opfer von Mord, Totschlag und Körperverletzungen gezählt, die mit dem Täter in einem gemeinsamen Haushalt lebten. Das macht rund die Hälfte der weiblichen Opfer von Partnerschaftsgewalt aus. Nicht umsonst hat sich der Begriff »häusliche Gewalt« tief im Sprachgebrauch festgesetzt – auch wenn Feministinnen schon lange betonen, dass die Gewalt nicht zum Haus gehöre, kein bloßer »Haushaltsunfall« sei. Es ist und bleibt männliche Gewalt gegen Frauen.

Die Dunkelziffer von Gewalt im eigenen Zuhause ist noch viel höher, denn sehr viele Frauen zeigen sie nicht an und ertragen sie über lange Zeiträume. Die Gründe davon sind vielschichtig. Auch der Mangel an bezahlbarem Wohnraum spielt dabei eine Rolle.

Frauen machen den Großteil des wachsenden Niedriglohnsektors aus, haben im Durchschnitt ein um 37 Prozent geringeres Jahreseinkommen als Männer und erhalten deshalb und aufgrund von Teilzeitjobs oft nur sehr kleine Renten. Viele können sich keine eigene Wohnung leisten und bleiben in der Gewaltspirale gefangen. Das ist auch der Grund, weshalb die Aufenthaltsdauer in Frauenhäusern immer länger wird. Da es ohnehin viel zu wenig Frauenhausplätze gibt, erhöht das den Druck umso mehr. Fast 20 000 Frauen und ihre Kinder müssen jährlich von Frauenhäusern abgewiesen werden. Wo gehen sie hin? Viele kehren zum Partner zurück. Während Studien unisono belegen, dass Partnerschaftsgewalt in allen Schichten vorkommt, trifft diese Problematik eben nur sozial marginalisierte Frauen – deren Anzahl zunimmt. Andere leiden (zusätzlich) unter einer rassistischen Wohnungsvergabepraxis. Die Mietenpolitik gefährdet ihr Leben also ganz konkret.

Aber körperliche Gewalt ist nur das vielleicht extremste Beispiel für die spezifische Unsicherheit, die gering verdienende und arme Frauen durch die Mietenkrise erfahren. In Deutschland gibt es rund 1,6 Millionen Alleinerziehende, 98 Prozent davon sind Frauen. Sie sind die größte Risikogruppe für Armut. 40 Prozent von ihnen sind von Hartz IV betroffen. Verdrängung durch Mietsteigerungen hat für Kinder von Alleinerziehenden noch eine zusätzliche Bedeutung, nämlich den Wechsel der Schule, den Verlust des Freundeskreises, der Freizeitangebote und -einrichtungen. Viele Alleinerziehende werden es daher vermutlich versuchen, den Umzug möglichst weit hinauszuzögern. Das zumindest sind wahrscheinliche Erklärungen dafür, dass immer mehr alleinerziehende Frauen mit ihren Kindern zwangsgeräumt werden.

Auch wenn insgesamt nur ein Viertel aller Wohnungslosen Frauen sind, nimmt auch ihre Anzahl drastisch zu. Der Unterschied ist nur, dass Wohnungslosigkeit bei Frauen meist anders aussieht als bei Männern. Im Unterschied zur sichtbaren Wohnungslosigkeit von Männern ist sie bei Frauen meist verdeckt. Das bedeutet, dass sie nicht auf der Straße oder in mit Männern geteilten Notfallunterkünften landen, sondern prekär bei Bekannten und Verwandten wohnen. Einige Frauen kommen auch bei Zweckpartnern unter, zu denen sie nur für die Möglichkeit zu wohnen eine Beziehung führen. So entsteht Abhängigkeit.

Die Kämpfe um das Recht auf Wohnen sind demnach auch Teil der feministischen Kämpfe. Praktisch gemacht haben das beispielsweise die Aktivist*innen der Initiative »Zwangsräumungen stoppen«, die am 8. März zur Teilnahme an der Berliner Frauen*kampftags-Demonstration aufgerufen haben. Am Samstag wird es auf der Berliner Demonstration gegen den Mietenwahnsinn auch einen Block vom Frauen*streik geben. Es sind diese Verbindungen, die wir in Zeiten sozialer und kultureller Spaltung brauchen.

Zuerst veröffentlicht in der Zeitung neues deutschland, 03.04.2019

Das komplette System lahmlegen

Von Kerstin Wolter und Alex Wischnewski

Der 8. März steht vor der Tür. Gingen in den vergangenen Jahren schon stetig mehr Frauen gegen Ausbeutung und für mehr soziale und freiheitliche Rechte auf die Straßen, so wird dieses Jahr noch eine Schippe drauf gelegt. Das erste Mal seit 25 Jahren treten Frauen und Queers in Deutschland in den Streik.

In Berlin wurde der Frauenkampftag jüngst unter Rot-Rot-Grün zum gesetzlichen Feiertag erklärt. Hinsichtlich der Planungen für einen Frauenstreik hat das bei vielen für Verwirrung gesorgt. Warum streiken, wenn eh niemand arbeitet?

Ein feministischer Streik wie er in den über 40 regionalen Netzwerken sowie ungezählten Haushalten, Organisationen und Institutionen vorbereitet wird, beschränkt sich jedoch ganz explizit nicht nur auf die Lohnarbeit, sondern schließt ebenso die unbezahlte Sorge-, Erziehungs- und Haushaltsarbeit mit ein. Mal davon abgesehen, dass auch an Feiertagen in Krankenhäusern, Altenheimen und Supermärkten gearbeitet wird.

Immer wieder hören wir die Kritik, dass das Bestreiken nicht entlohnter Arbeit ein rein symbolischer Protest sei. Aber ist die Erziehung von Kindern, die Pflege von Angehörigen oder die Erledigung der notwendigen Tätigkeiten im Haushalt auch nur symbolische Arbeit? Seit Jahrzehnten fordert die Frauenbewegung, diese Tätigkeiten endlich als Arbeit anzuerkennen – und wer arbeitet, kann auch streiken.

Warum der Streik auf die mehrheitlich von Frauen geleistete Reproduktions- oder Care-Arbeit ausgedehnt werden muss, hat Gründe: Die unbezahlte Reproduktionsarbeit ist der unsichtbare Teil des Eisbergs kapitalistischer Produktionsweise. Ohne sie würde kein Mensch überhaupt am Arbeitsmarkt teilnehmen können – geschweige denn überleben. Kurzum, die Sorgearbeit stützt das komplette System. Das Bestreiken dieser Tätigkeiten kann deshalb – theoretisch – auch das System komplett lahmlegen.

In den Vorbereitungen für einen feministischen Streik sollen Frauen und Queers sich ihrer ökonomischen Machtposition bewusst werden, um schließlich auch die politische Macht zu erobern. Dabei geht es nicht darum, dass Frauen per se die besseren Menschen wären. Sie sind es nicht – wie man an den Frauen in der AfD oder Kriegstreiberinnen wie Hilary Clinton sehen kann. Der Frauenstreik ist eine im Kern antikapitalistische Praxis. Und ein großer Teil der lohnabhängigen Frauen sitzt heute an den entscheidenden Schaltstellen.

Sicherlich tun sich dabei zunächst Fragen auf: Bringt ein eintägiger, individueller Streik von Frauen – selbst wenn es viele sind – überhaupt etwas? Führt er am Ende nicht nur dazu, dass sie die Aufgaben am darauffolgenden Tag erledigt werden oder im besten Fall dazu, dass ein männlicher Partner Tätigkeiten übernimmt? Ganz abgesehen von jenen Fällen, in denen die Sorge für andere nicht einfach für einen Tag niedergelegt oder nur an andere delegiert werden könnte. Bleibt der Protest also nicht an der Frage der gerechten Verteilung unbezahlter Arbeit zwischen den Geschlechtern hängen, während das kapitalistische System unangetastet bleibt?

Die Aushandlung in (heterosexuellen) Partnerschaften und Familiengefügen ist nicht zu unterschätzen, auch wenn sie erstmal individualistisch daherkommt. Dabei würde eine gerechte Aufteilung dazu führen, dass Frauen mehr Zeit für ihre Interessen bleibt oder dafür, sich politisch einzubringen. Nicht zuletzt wird mit der Frage der gerechten Verteilung auch die Lohnarbeitszeitfrage aufgerufen, denn Vollzeitarbeit und Erziehung von Kindern oder Pflege von Angehörigen sind kaum zu vereinbaren. Es ist nämlich kein Wunder, dass zwei Drittel der Frauen mit Kindern in Teilzeit lohnarbeiten, aber nur sechs Prozent der Väter. Schlechtere Entlohnung und lange Teilzeitphasen führen auch im Alter zu einer größeren Armut von Frauen. Eine Aushandlung über die Verteilung der Tätigkeiten kann mit einer Verweigerung am 8. März beginnen, darf dabei aber hier nicht stehen bleiben.

Ein feministischer Streik kann darüber hinaus den Zusammenhang zwischen entlohnter und nicht entlohnter Arbeit auf besondere Weise deutlich machen. Im besten Fall dadurch, dass Männer Sorgearbeit übernehmen und dafür selbst in den Streik der Lohnarbeit treten. Ein Gedankenspiel: Wie viele Männer könnten nicht Vollzeit lohnarbeiten gehen, wenn ihre Mütter, (Ehe-)Frauen oder Töchter nicht all die sonstigen nicht entlohnten Arbeiten übernehmen würden?

Ein solches Szenario ist aktuell noch nicht zu erwarten. Doch alles ist möglich. Der Frauen*streik ist eben nicht nur ein Tag, sondern ein Prozess, der an diesem 8. März weder beginnt noch aufhört. Schon jetzt hat die Frauen*streik-Bewegung fruchtbare Debatten und Organisierungsprozesse angestoßen und vorangebracht, die bezahlte und unbezahlte Arbeiten verbinden. Unabhängig davon, was in diesem Jahr am 8. März passiert, ist allein das schon ein riesiger Erfolg.

Zuerst veröffentlicht in der Zeitung neues deutschland, 07.03.2019

Der 8. März ist erst der Anfang

Von Kerstin Wolter und Alex Wischnewski

Es gibt gute Gründe für Frauen und Queers am 8. März sowohl Lohnarbeit als auch nicht entlohnte Arbeit zu bestreiken.

Vielleicht hat die*der eine oder andere schon davon gehört, dass an diesem 08. März ein Frauenstreik organisiert wird. Von Jena nach Witzenhausen und von Höxter nach München haben sich lokale Netzwerke und Streikgruppen gebildet. Aber was soll das eigentlich sein, so ein Frauenstreik? Wer streikt da und was oder wer wird bestreikt?

Die Gründe für einen feministischen Streik sind fast so vielfältig wie die Frauen und Queers, die ihn vorbereiten. Noch immer verdienen Frauen im Schnitt 20 Prozent weniger als Männer, sie gehen viel häufiger in Teilzeitjobs, wenn sie Kinder bekommen, und sie sind häufiger von Altersarmut betroffen. Und ihnen wird nicht einmal zugestanden, freien Zugang zu Informationen zu erhalten, wenn sie eine ungewollte Schwangerschaft beenden müssen. Warum stehen also gerade jetzt Frauen und Queers weltweit gegen diese Zustände auf?

Frauen und Queers werden zwar weiterhin auf besonders üble Weise ausgebeutet und abgewertet, mittlerweile sitzen sie aber an den entscheidenden Schaltstellen der Ökonomie. Und auch die Politik ist immer weniger nur Männersache. Das mag erst mal bei einer sinkenden Frauenbeteiligung im Bundestag und einem scheinbar männerdominierten Arbeitsmarkt absurd klingen. Der Anteil der erwerbstätigen Frauen ist aber in den letzten Jahrzehnten immer weiter angestiegen. Der Haken ist, dass sie weiterhin den Großteil der nicht entlohnten Sorge-, Erziehungs- und Haushaltstätigkeiten übernehmen. Was aber auf der einen Seite zu einer zunehmenden Doppelbelastung führt, ist auf der anderen Seite ein riesengroßer Machtfaktor. Würden alle Frauen auf einmal all diese nicht entlohnten, häufig unsichtbaren Arbeiten niederlegen, würde das ganze System ins Wanken geraten. Denn niemand könnte überhaupt nur einen Schritt Richtung Lohnarbeitsplatz machen ohne all die Care-Arbeit, die Frauen und Queers leisten.

Eben deshalb wird bei einem feministischen Streik nicht nur die entlohnte, sondern auch die nicht entlohnte Arbeit bestreikt. Das Ziel ist aber dabei nicht, einzelne Männer – den Partner, den Kollegen und einzelne Vorgesetzte – individuell unter Druck zu setzen. Der Streik kann aber Ausgangspunkt dafür sein, eine Diskussion über ungleich verteilte Arbeiten anzustoßen – auch in heterosexuellen Paarbeziehungen.
Ziel ist es, auf lange Sicht das ganze System, das auf der Ausbeutung, Unterdrückung und Entrechtung von Frauen und Queers beruht, zum Einsturz zu bringen. Frauen und Queers auf der ganzen Welt haben lange genug für mehr Rechte verhandelt. Neue und alte Rechte scharen bereits mit den Hufen, wenn es darum geht, bereits erkämpfte Rechte erneut einzuschränken. Es ist nur folgerichtig, wenn wir anfangen, uns zu wehren – wie es Frauen und Queers auf der ganzen Welt bereits tun. Allein in Spanien sind am 08. März 2018 über sechs Millionen Menschen in den feministischen Streik getreten.

Doch bevor wir überhaupt richtig angefangen haben, versucht schon so mancher aus der klassischen Streikbewegung, Frauen und Queers das feministische Streikrecht abzuerkennen. Dann heißt es, Care-Arbeit zu bestreiken, sei ein rein symbolischer Streik und gar keine „richtige“ Arbeitsniederlegung. Im Umkehrschluss ist Care-Arbeit also keine richtige Arbeit? Wohl kaum. Dazu kommt, dass in Deutschland ein politischer Streik – also Arbeitsniederlegungen, deren Forderungen sich nicht direkt an den Arbeitgeber richten – verboten ist. Trotzdem wird es am 08. März bundesweit unzählige Streikaktionen geben. Täglich werden neue Aktionen geplant und es entstehen neue Netzwerke. Auf der letzten bundesweiten Streikversammlung haben sich die anwesenden Frauen und Queers auf drei zentrale Ausdrucksformen und Aktionen geeinigt:

  1. Die Farbe Lila ist unsere Farbe.
  2. Wir wollen dezentral und zentral um 5 vor 12 vor unsere Wohnungen, Häuser, Betriebe und Büros gehen und uns auf einen Stuhl setzen, um unseren Streik zu demonstrieren.
  3. Wir wollen um 17 Uhr in ganz Deutschland als Teil eines globalen Aufschreis unsere Wut hinausschreien. Egal, ob zu Hause, auf einer der vielen Demonstrationen oder Kundgebungen oder zusammen mit den Kolleginnen auf der Arbeit.

Frauen in vielen anderen Ländern werden es uns gleichtun. Auch in der Lohnarbeit wird ganztags gestreikt, so legen beispielsweise die Frauen und Queers am Maxim Gorki Theater in Berlin die Arbeit nieder.

Dieses Jahr werden Frauen und Queers das Land vielleicht noch nicht lahmlegen. Noch haben nicht alle von dem Streik gehört. Aber der erste Schritt hin zu einem Frauenstreik ist es, anzufangen, darüber zu reden. Die Frauenstreikbewegung ist ein Prozess des Widerstands, keine einmalige Aktion. Der 08. März ist erst der Anfang.

Zuerst veröffentlicht im Missy Magazin, 01.03.2019

Frauenstreik am 8. März: „Wir sind der umgekehrte Fight Club!“

Am Frauentag die Arbeit niederlegen – und zwar nicht nur am Arbeitsplatz, sondern auch im Haushalt und in der Familie. Wie das funktionieren soll, darüber spricht ze.tt mit zwei der Organisator*innen des Frauenstreiks. Ein Interview

Das Interview führten Nina Monecke und Katharina Alexander

Es ist ein Freitag, als sich am 24. Oktober 1975 in Islands Hauptstadt Reykjavík Tausende Frauen auf dem zentralen Lækjartorg-Platz versammeln und gemeinsam die Arbeit niederlegen – 90 Prozent der weiblichen Bevölkerung des kleinen Landes befindet sich im Streik. Die Frauen fordern Gleichheit unter den Geschlechtern, eine gerechtere Bezahlung und bessere Kinderbetreuung. Der Folksong Áfram stelpur, auf Deutsch Vorwärts Frauen, wird angestimmt. Mit diesem Aufstand der isländischen Frauen beginnt die Geschichte des modernen Frauenstreiks im Internationalen Jahr der Frau, das die Vereinten Nationen zuvor ausgerufen hatten.

Weltweit folgten weitere Frauenstreiks. 1991 in der Schweiz, wo Hunderttausende unter dem Motto Wenn frau will, steht alles still an verschiedenen Protestformen teilnahmen, zu denen der Schweizerische Gewerkschaftsbund und Frauenkomitees aufgerufen hatten. In Spanien gingen 2018 fünf Millionen gegen Benachteiligung am Arbeitsplatz und häusliche Gewalt auf die Straße. Auch hier beteiligten sich die beiden großen Gewerkschaften UGT und CCOO, mobilisierten aber nur zu einer zweistündigen Arbeitsniederlegung.

Was in Island, der Schweiz und Spanien, aber auch in Mexiko, Brasilien und den USA gelang, soll in diesem Jahr auch in Deutschland stattfinden. Gestreikt wird am Frauentag, dem 8. März. Wir haben mit Alex Wischnewski und Kerstin Wolter, zwei der Organisator*innen, darüber gesprochen, wie politischer Streik funktionieren kann, warum wir ihn brauchen und welche Rolle Männer bei einem Frauenstreik spielen.

ze.tt: Wie kann der Frauenstreik aussehen, wenn politischer Streik in Deutschland verboten ist?

Alex Wischnewski: Politischer Streik ist möglich, wenn sich eine kritische Masse bewegt. Es gab in der Vergangenheit politische Streiks, die nicht verurteilt worden sind. Wir sagen immer, wir sind der umgekehrte Fight Club. Erste Regel des Frauenstreiks: Rede über den Frauenstreik! Das ist beim Thema Care-Arbeit super wichtig, weil immer die Frage kommt: Wer fängt die dann auf? Es geht erstmal darum zu sagen: Heute machst du das! Und dann bestenfalls ein Gespräch darüber anzufangen, wie die Tätigkeiten im Haushalt und in der Familie verteilt sind. Eine Frau hat vorgeschlagen, einen Lächel-Streik zu machen. Einfach mal aufhören mit Nettsein. Es gibt auch Überlegungen dazu, Küchenschürzen, Geschirrtücher oder Bettlaken aus den Fenstern zu hängen, am besten mit Logo.

Warum richtet sich der Streik explizit an Frauen?

Kerstin Wolter: Es geht darum, die Forderungen von Frauen für Frauen sichtbar zu machen: Die Frage von schlechter Bezahlung, unzureichenden Transrechten und der Situation von geflüchteten Frauen.

Wischnewski: Tätigkeiten, die Frauen ausführen, werden oft schlechter oder gar nicht bezahlt. 80 Prozent der Teilzeitjobs werden von Frauen übernommen. Statistisch gesehen ist der Hauptgrund, warum Frauen in Teilzeit gehen, weil sie Kinder erziehen oder Angehörige pflegen. Bei Männern ist es Weiterbildung.

Wolter: Wir haben in Deutschland mit der Planung angefangen, nachdem wir gesehen haben, was in Spanien 2018 möglich war, in den USA, in Mexiko oder in Brasilien, wo Frauenstreiks gegen die Wahl des rechten Präsidenten Bolsonaro stattgefunden haben. Es geht dabei meist gleichermaßen gegen unsoziale wie rechte Politik. Das Erstarken rechter Parteien und Stimmungen in der Gesellschaft sind eng verbunden mit antifeministischen Tendenzen. „Genderwahn, Genderideologie“ so spricht Bolsonaro, so spricht Trump, so spricht die AfD.

In Spanien haben 2018 mehrere Gewerkschaften zum Frauenstreik aufgerufen. Können wir damit auch in Deutschland rechnen?

Wolter: Wir sind mit einigen Gewerkschaften im Gespräch. Bisher ist der Stand, dass sie aufgrund der rechtlichen Lage voraussichtlich nicht zum Streik aufrufen werden. Bei mehreren Gewerkschaften gibt es aber Beschlüsse zur Forderung, den politischen Streik zu legalisieren.

Wischnewski: Sie vermeiden das Wort Streik, aber sie rufen zu kreativen Aktionen auf, zum Beispiel zur kämpferischen Mittagspause.

Warum wollt ihr trotzdem einen Streik und keine Großdemo?

Wolter: Großdemonstrationen wird es geben und sie schaffen auch Öffentlichkeit, aber wirklich Druck auszuüben, das schafft man, wenn man verweigert, etwas zu tun. Wenn man nur samstags zur Demo geht, dann stört das niemanden.

Wischnewski: Es gab so viel weniger Aufmerksamkeit für vergangene Frauenkampftag-Demos, als wir jetzt schon für den Frauenstreik bekommen. Und das liegt glaube ich daran, dass die Leute Angst kriegen, was passiert. Wir müssen unsere Machtposition ausnutzen.

Es gab 1994 schon mal einen Frauenstreik in Deutschland, von dem viele gar nicht wissen. Was ist daraus geworden?

Wolter: Eine Million Menschen hat sich schätzungsweise beteiligt – und das im prä-Computer-Zeitalter. Gisela Notz, die damals schon den Streik mitorganisiert hat, erzählt heute, wie sie sich Faxe zugeschickt haben, um sich zu koordinieren. Und es war die post-Wendezeit, in der es auch darum ging, welches das Recht des wiedervereinigten Deutschlands wird. Ost- und Westfeministinnen kamen erstmals zusammen. Das Recht auf Schwangerschaftsabbruch der BRD war zum Beispiel viel repressiver als das der DDR. Zu den Forderungen gehörte auch die Kriminalisierung von Vergewaltigung in der Ehe.

Wie erreicht ihr Frauen, die außerhalb der Großstädte und linker Netzwerke arbeiten und leben?

Wischnewski: Es gibt ganz viele verschiedene Frauen, die sich darüber einbringen, dass sie sich in ihrem Umfeld über den Streik unterhalten. Die gehen nicht in feministische Netzwerke, weil sie kleine Kinder oder keine Zeit haben, weil sie einfach zu müde sind oder nicht politisch geschult. Das heißt nicht, dass diese Frauen sich nicht angesprochen fühlen.

Wolter: Viele Frauen und feministisch aktive Personen, werden nicht davon mobilisiert, wenn man einfach nur einen Flyer auslegt oder auf Facebook eine Veranstaltung erstellt. Wir müssen Klinken putzen. Das heißt, zu Mädchen- und Frauenzentren gehen und dort ins Gespräch kommen.
Und was machen die Männer beim Frauenstreik?

Wolter: Die witzigste Antwort auf diese Frage habe ich von einer Spanierin auf einem Panel gehört: Natürlich streiken auch die Männer, irgendwer muss ja am 8. März die ganze Arbeit übernehmen, die von den Frauen nicht geleistet wird. Wir rufen explizit dazu auf, dass Männer sich solidarisch zeigen, zum Beispiel indem sie Orga-Arbeiten übernehmen, Kinder betreuen oder kochen. Es gibt auch die Idee von Männer-und-Kinder-Blocks auf den Demonstrationen, sodass die Frauen in der ersten Reihe laufen können.

Wischnewski: Es gibt Bereiche, gerade in der Pflege, wo Männer als eigene Subjekte natürlich mitstreiken sollen. Vor allem wäre es gut, wenn Männer keine Streikbrecher sind. Es soll wehtun, dass die Frauen fehlen. Ich kann die Frage nach der Männerbeteiligung verstehen, aber trotzdem wäre meine erste Antwort, sie sollen sich einfach mal was überlegen. Männer buttern auch viel, aber es gibt ganz viele Frauen, die noch viel mehr buttern. Ich möchte viel lieber darüber reden, wie wir mehr Frauen und Queers beim Frauenstreik werden können und die Männer können machen, was sie wollen.

Was habt ihr gedacht, als der Frauentag in Berlin zum Feiertag erklärt wurde?

Wischnewski: Im ersten Moment: Come on! Kaum rufen wir zum Streik, kommt der Feiertag. Gleichzeitig will ich, dass die unbezahlte Arbeit und die Lohnarbeit, die auch an Feiertagen weitergeht, sichtbar gemacht und bestreikt wird. Das ist auch an einem Feiertag möglich. Statistisch gesehen haben Männer sehr viel mehr von einem gesetzlichen Feiertag, weil sie mehr lohnarbeiten und weil mehr Frauen auf die Kinder aufpassen, wenn die Kitas am Feiertag zu haben.

Wolter: Die Frage, wie viele Menschen sich an Protesten und Streiks beteiligen, hängt von dem Wutpotenzial der Frauen ab. Das ändert auch kein Feiertag. Ich sehe schon, dass die Idee hinter dem Feiertag Wertschätzung ist. Er gedenkt den Errungenschaften, die schon erkämpft wurden, aber wir sind noch lange nicht angekommen. Es gibt noch keine vollständige Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern.

Wischnewski: Den Frauenkampftag zum Feiertag zu machen, ist in Zeiten des Rechtsrucks aber auch einfach schön. Die AfD-Fraktion hat sich zumindest tierisch aufgeregt.

Zuerst veröffentlicht in der ze.tt, 17.02.2019

Endhaltestelle für viele Probleme

Von Kerstin Wolter und Alex Wischnewski

Es ist diese besondere Zeit im Jahr, in der eigentlich nichts passiert und die doch an fast allen hierzulande nicht unbemerkt vorüberzieht: Weihnachten. Viele haben auch dieses Jahr die Feiertage im Kreis ihrer Familie verbracht. Doch während Familie für die einen Liebe, Zuneigung, Fürsorge und Geborgenheit bedeutet, ist sie für andere verbunden mit Streit, Zorn, genervt sein, Enttäuschung und Gewalt. Für die meisten mischen sich wohl die Erfahrungen. Besonders für Frauen ist Familie eine zwiespältige Angelegenheit.

Die Familie ist die traditionell den Frauen zugewiesene Sphäre. Noch immer übernehmen sie darin den Großteil der Haus-, Erziehungs- und Pflegearbeit. Diese Aufgaben erfüllen viele so verantwortungs- und aufopferungsvoll, dass sie einer Erwerbsarbeit nur in Teilzeit oder auch gar nicht nachgehen können oder wollen. In Deutschland arbeiteten 47 Prozent der Frauen in Teilzeit. Unter den Männern sind es nur neun Prozent. Noch drastischer fallen die Zahlen bei Frauen mit Kindern aus: So arbeiten 72 Prozent der Mütter mit minderjährigen Kindern auf Teilzeitbasis, aber nur sechs Prozent der Väter. Die Folgen für Frauen sind bekannt: fehlende finanzielle Eigenständigkeit und Armut im Alter. Zudem gilt das Zuhause für Frauen als gefährlichster Ort: Jede vierte Frau in Deutschland wurde Opfer von Gewalt durch ihren Partner oder Ex-Partner. Es ist die häufigste Form, in der Frauen überhaupt Gewalt erfahren. Begriffe wie »häusliche Gewalt« oder »Familientragödie« schreiben diese Erfahrungen nicht nur als Normalität fest, sie verharmlosen sie.

Dass das Private politisch ist, war deshalb ein zentrales Thema der zweiten Welle der Frauenbewegung. Es ist ihr Erfolg, dass Frauen in Westdeutschland heute einen größeren Anteil an der Erwerbsarbeit und dem öffentlichen Leben haben und Ehen leichter geschieden werden können. Die Feministin Nancy Fraser verweist gleichzeitig auf eine Widersprüchlichkeit: Die feministischen Argumente für Emanzipation würden zu einer moralischen Legitimierung des flexiblen Kapitalismus beitragen. Jedes Individuum könne nun einzeln ausgebeutet werden.

Das scheint jedoch quer zu heutigen Entwicklungen zu liegen. Auch in der gegenwärtigen kapitalistischen Gesellschaft hat die Familie weiterhin einen hohen Stellenwert. Das merken wir nicht nur an Weihnachten. Vielmehr noch scheint sie jüngst wieder an Bedeutung zu gewinnen. Warum ist das so?

Bundesregierungen haben die Familie als »Leistungsträger« der Gesellschaft hervorgehoben. Sie ist eben jener Ort, an dem Arbeit geleistet und im besten Fall allein mit Liebe bezahlt wird. Es ist auch jener Ort, an dem Menschen füreinander einstehen, wenn es eng wird. Hier springt der Zusammenhang mit Wohlfahrtsstaat und öffentlicher Daseinsvorsorge ins Auge. Gibt es keine ausreichende Pflege mehr in den Krankenhäusern, oder werden Kitas zu teuer, fangen Familien diese öffentlichen Engpässe auf. Genau genommen sind es die Frauen in den Familien. Wird an Transferleistungen gekürzt, wird plötzlich auf die »Bedarfsgemeinschaft« verwiesen. Das heißt, der Staat geht davon aus, dass Menschen in Familien finanziell füreinander aufkommen müssen.

Es ist also kein Zufall, wenn im langen Schatten der Wirtschafts- und Schuldenkrise die Bedeutung von Familien von Regierungsseite wieder betont wird. Da sind sich Regierungen der Mitte mit den Rechten einig. In Österreich etwa ließ die rechte FPÖ verlauten, dass Frauenhäuser die Familie zerstörten, während ihr neoliberaler Regierungspartner kein Problem mit der Kürzung dieser Hilfeleistungen hat. Doch in einer Welt der Individualisierung und Prekarisierung überträgt sich der eigene Wunsch nach Gemeinschaft und Sicherheit – ökonomischer wie sozialer – auf die Familie. Auch wenn sie das nie so geleistet hat oder auch gar nicht so leisten kann.

Ganz im Gegenteil sogar. Nehmen soziale Probleme zu, dann ist die Familie eben nicht unbedingt der Ort der Absicherung, sondern gerade die Endhaltestelle dieser Probleme. Steigende Zahlen von Partnerschaftsgewalt in Krisenzeiten zeugen davon. Familie ist also nur so gut wie die Gesellschaft, in der sie stattfindet. Gäbe es mehr Nähe und Zärtlichkeit in anderen Beziehungen als der eigenen Beziehungspartnerschaft, wäre die Familie nicht so heillos überfrachtet. Das wäre übrigens nicht nur eine Befreiung für Frauen, sondern würde ebenso Männern einige Bürden von den Schultern nehmen.

Zuerst veröffentlicht in der Zeitung neues deutschland, 02.01.2019

Vereinen, was sie spalten

Von Kerstin Wolter und Alex Wischnewski

Die Bewegung für einen Frauen*streik in Deutschland nimmt derzeit rasant Fahrt auf. Von Hamburg bis München und von Freiburg bis Rostock haben sich inzwischen 20 Streikkomitees und Netzwerke gegründet, fast wöchentlich kommen neue hinzu. In Berlin beteiligten sich an der letzten Streikversammlung 140 Frauen*. Zum ersten bundesweiten Vernetzungstreffen in Göttingen kamen rund 400 Frauen*. Am Ende stand ein im Konsens verabschiedeter Aufruf zum Streik. So etwas gab es tatsächlich schon lange nicht mehr.

Doch wie immer in feministischen Organisierungen gibt es auch Konflikte und Kritiken. Kritik am Aufruf und seiner fehlenden Zuspitzung auf wenige zentrale Forderungen, Kritik am Prozess und der Unsichtbarkeit bestimmter Gruppen, Kritik an der Zusammensetzung der Organisator*innen: zu weiß, zu akademisch, zu wenig queer. Vieles davon ist richtig. Es einfach abzutun, würde jedoch dem eigenen Anspruch widersprechen, viele unterschiedliche Menschen zu erreichen.

In den Vorbereitungen für das Göttinger Treffen standen Teilhabemöglichkeiten im Fokus. Es gab Übersetzungen in vier Sprachen, eine soziale Umlage bei den Fahrtkosten, eine kostenlose Schlafplatzbörse und den gemeinsamen Willen, eine möglichst alle einschließende Redeweise zu finden. Dennoch fühlten sich viele darin noch nicht restlos aufgehoben oder blieben dem Treffen fern.

Durch die theoretische Debatte um Intersektionalität ist uns das heute zumindest sehr viel bewusster. Sie hat gezeigt, wie die Verschränkung verschiedener Herrschaftsverhältnisse, wie Herkunft, Geschlecht und sozialer Klasse, jeweils spezifische Betroffenheiten, Ausschlüsse, aber auch Handlungsmöglichkeiten erzeugt. Ein frühes Beispiel war die Kritik schwarzer Frauen an der Politik weißer Frauen gegen häusliche Gewalt. Die schwarzen Frauen konnten oder wollten aufgrund der rassistisch aufgeladenen Stimmung nicht in gleicher Weise gegen ihre Partner öffentlich werden.

Dass diese Kritik häufig nicht miteinander ausgehandelt wird, liegt auch daran, was uns tagtäglich und von klein auf voneinander trennt. Denken wir allein an die Spaltungen entlang von Bildungszugängen. In Deutschland werden Kinder oftmals ab der vierten Klasse danach eingeteilt, mit welchem Abschluss sie die Schule beenden werden. Die Verteilung der Chancen wird dabei häufig über unsere soziale Herkunft geregelt, darüber, ob im Elternhaus Deutsch gesprochen wird oder ob wir erst vor kurzem mit unseren Familien in die Bundesrepublik gekommen sind. Auf welche Schule wir gehen, entscheidet nicht nur darüber, welchen Job wir bekommen. Studien zufolge heiraten Menschen zunehmend in der eigenen sozialen Bildungsblase. Was gespalten ist, bleibt so gespalten. Eine Einladung zu einem Planungstreffen, einer Veranstaltung oder einem Workshop – und sei alles noch so barrierefrei vorbereitet – wird daran leider erst mal nur wenig ändern.

Und das ist auch kein Wunder. Eine Bewegung wird nicht in der Lage sein, alle Spaltungen, die der Kapitalismus täglich produziert, von heute auf morgen zu überwinden. Doch wie gehen wir damit um? Sich einfach zurückzulehnen oder wütend auf die Kritiker*innen zu werden, ist der falsche Weg. Denn es ist eine schwierige und noch lange nicht abgeschlossene Aufgabe. Es liegt an uns, daran zu arbeiten, die vielfältigen Spaltungen zu überwinden. Auch darum geht es bei den Planungen für einen Frauen*streik.

Die Aktiven tun dies, indem sie sich dezentral organisieren, aber solidarisch aufeinander beziehen. Indem es keine festen Orte und keine für alle bindenden Entscheidungen gibt – denn kein Ort wird für alle zugänglich sein. Indem es verschiedene Aufrufe geben soll und kann, die Raum für viele Stimmen und viele Forderungen bieten. Indem sie ihre unterschiedlichen Realitäten gegenseitig kennenlernen und gemeinsam sichtbar machen, auch wenn diese für den Moment im Widerspruch stehen. Besonders deutlich wird dies etwa daran, dass das kollektive Subjekt »Frau«, das der Streik anruft, für viele ältere Feministinnen ein erkämpftes ist, das sie aus der Unsichtbarkeit der Geschichte herausholt. Für andere wiederum ist es eine Kategorie, die überwunden werden soll. Die Frauen*streik-Bewegung ist aber auch eine Lernbewegung, die uns alle prägen und über den 8. März hinausreichen wird.

Zuerst veröffentlicht in der Zeitung neues deutschland, 05.12.2018

Angst vor der Gleichstellung

Von Kerstin Wolter und Alex Wischnewski

Die Rechte befindet sich auf einem Feldzug gegen die Gleichstellungspolitik. Das gilt nicht nur hierzulande. Ein kurzer Blick ins Nachbarland Österreich zeigt, dass rechte Parteien diesen Ansatz bereits in Regierungshandeln umsetzen. Feministische Initiativen wie etwa der Frauenring, Familienberatungsstellen oder Projekte zur Gewaltprävention verlieren staatliche Förderung. In Ungarn sollen nach Willen Orbans die Gender Studies schon bald verboten sein. Dahinter stehen häufig antikommunistische Argumente, wenn von »staatlichen Umerziehungsprogrammen« und »Gleichmacherei« gewarnt wird, die einer natürlich bestehenden Ordnung entgegenstünden.

Am Jahrestag des Mauerfalls lohnt es sich zurückzuschauen. Denn diesen Kampf haben die Rechten schon einmal gewonnen, als die Regierung Kohl und ihre Helfer*innen nach der Wiedervereinigung 1990 mit dem Ausradieren eines realsozialistischen Projekts den Feminismus programmatisch gleich mit abräumten.

Neben aller notwendigen Kritik an fehlender Demokratie und einem autoritären Staat waren die Frauen in der DDR an vielen Stellen rechtlich und sozial bessergestellt als die Frauen in Westdeutschland. In der DDR wurde der Grundsatz der lohnarbeitenden und ökonomisch unabhängigen Frau durch sozialpolitische Entscheidungen in vielen Bereichen verwirklicht, was sich am Ausbau von Kindergärten und -krippen oder in den verbesserten geschlechtsspezifischen Arbeitsstandards zeigte. Das Sexualstrafrecht, das für sich genommen völlig unzureichend war, war dennoch fortschrittlicher als das der BRD. Schwangerschaftsabbrüche wurden innerhalb der Zwöf-Wochen-Fristenregelung bereits 1972 legalisiert. Und während die Aufnahme des Gleichstellungsparagrafen ins Grundgesetz der BRD nur mit einer Kampagne der beiden einzigen weiblichen SPD-Abgeordneten mit den autonomen Frauenverbänden erkämpft werden konnte, wurde dieser Grundsatz ohne große Widerstände in der DDR-Verfassung verankert.

Nach der Wiedervereinigung sahen sich die Frauen der ehemaligen DDR mit dem Verlust dieser sozialen und freiheitlichen Rechte konfrontiert. Einige von ihnen hatten erst wenige Jahre vor dem Mauerfall begonnen, sich unter dem Schutz der Kirche in autonomen Frauengruppen zu organisieren. Sie kritisierten, dass die Emanzipation der Frau in der DDR auf ein soziales Verhältnis reduziert wurde und das strukturelle Herrschaftsverhältnis zwischen Frau und Mann nicht ausreichend Aufmerksamkeit erfuhr. Trotz des besseren Sexualstrafrechts wurde Gewalt gegen Frauen in der DDR größtenteils tabuisiert. Feminismus ist eine soziale Frage – aber eben nicht nur.

Während der politischen Neugestaltung nach 1989 trafen die DDR-Feministinnen das erste Mal auf die von der 68er Bewegung geprägte autonome Frauenbewegung aus Westdeutschland. Es prallten tatsächlich politische Welten aufeinander. Unter Schmerzen, aber mit dem gemeinsamen Ziel, die eigenen Rechte zu verteidigen und auszubauen, gründeten am 3. Dezember 1989 mehr als tausend Frauen aus Ost und West den UFV – den Unabhängigen Frauenverband. Gemeinsam verabschiedeten sie ein Manifest, in dem sie eine sozialistische Alternative zum Wiedervereinigungsprozess skizzierten. In der entstandenen gesamtdeutschen Frauenbewegung kristallisierte sich der Kampf gegen den Paragrafen 218 und das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche als zentrale Frage heraus. Er wurde verloren. Auch der große Frauenstreik von 1994 und die ein Jahr später gegründete feministische Partei konnten es nicht verhindern. Die Frauenbewegung versiegte.

Die Herrschenden jener Zeit bescherten nicht nur der Frauenbewegung eine Niederlage, sie stülpten den neuen Bundesländern auch einen hemmungslosen und sich bereits in einer autoritären Wende befindlichen Kapitalismus über. Die siegreichen Politiker*innen der Bundesrepublik wussten, dass Frauenrechte und Sozialismus zusammengehören. Deshalb musste mit dem Sozialismus auch der Feminismus verschwinden. Damit sind die alten und neuen Rechten im Grunde weiter als Teile der Linken, die gerade mit allen Mittel versuchen, diese beiden Pfeiler linker Politik zu trennen. Diese Trennung spaltet die Lager, die sich in ihrer Praxis mehr hinter dem einen oder dem anderen versammeln. Im Kampf gegen Rechte und Neoliberale werden sie einander brauchen.

Zuerst veröffentlicht in der Zeitung neues deutschland, 08.11.2018

Die Krise hat ein Geschlecht

Von Kerstin Wolter und Alex Wischnewski

Zehn Jahre nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers gilt Deutschland weithin als »Krisengewinner«. Bei einem oberflächlichen Blick auf die Statistiken stimmt das auch. Doch wenn wir genauer hinschauen, bröckelt dieses Bild. Die Krise hat den Boden unter unseren Füßen weiter ausgehöhlt – und sie hat ein Geschlecht.

Der neoliberale Umbau der Arbeitswelt hat Millionen Menschen in Teilzeitjobs, Befristungen, Minijobs, niedrige Löhne und Armut getrieben. Krisengewinner sind diese Menschen bestimmt nicht. Doch noch weniger sagt der Titel über die Auswirkungen der Krise auf die entlohnten und nicht entlohnten Reproduktionsarbeiten aus, also jene Tätigkeiten, die direkt am Menschen verrichtet werden – wie Pflege und Erziehung. Obwohl ohne sie die Produktion von Waren gar nicht möglich wäre, wird kein Wert auf sie gelegt, wenn es um die Ankurbelung des Marktes geht. Schließlich werde nur reproduziert. Etwas Benutztes wird also wieder in den vorherigen Zustand zurückversetzt. Ein schräges Bild, wenn man allein an das Aufziehen von Kindern denkt. Die Philosophin Frigga Haug nennt diese Tätigkeiten deshalb die Sphäre der »Produktion des Lebens«.

Das deutsche Krisenmanagement zielte ab 2008 ausschließlich auf den Schutz der kapitalistischen Warenproduktion. Dabei ging es immer nur um die Absicherung von Profiten, nicht um die Absicherung des Lebens selbst, geschweige denn ihrer Produzenten und Produzentinnen. Und die sind immer noch mehrheitlich Frauen. Sie übernehmen noch immer den allergrößten Teil der (bezahlten wie unbezahlten) Erziehungs-, Pflege- und Hausarbeit. Trotz der insgesamt positiven Leistungsbilanz, mit der Deutschland durch die Krise kam, explodierten 2009 die Staatsschulden infolge kurzfristig aufgelegter Konjunkturprogramme. Wobei Abwrackprämie und Kurzarbeitergeld in erster Linie männliche Arbeitsplätze sicherten. Wen die Krise am stärksten trifft, erklärt sich also nicht allein aus der Krise selbst, sondern aus ihrer politischen Regulation.

Die Antwort auf die Schulden waren wie überall austeritätspolitische Maßnahmen. Diese wurden Deutschland jedoch nicht als Schocktherapie durch die Troika aufgezwungen, wie anderen europäischen Ländern, sondern beschleunigten lediglich einen langfristigen Trend. Kürzungen und Privatisierungen der öffentlichen Infrastruktur wurden zur politischen Leitlinie und fanden schließlich über die Schuldenbremse ihren Weg ins Grundgesetz. Davon sind Frauen gleich doppelt betroffen: Zum einen sind vor allem in den Sorgeberufen mehrheitlich Frauen beschäftigt (in der Pflege sind es etwa 85 Prozent), zum anderen übernehmen Frauen den steigenden Anteil der privat zu leistenden Daseinsvorsorge. Und das trotz stetig wachsender Erwerbstätigkeit, die jedoch gleichzeitig unsicherer wird.

Heute sind nur ein Drittel aller Vollzeitstellen von Frauen besetzt, während sie bei den Teilzeitstellen 80 Prozent stellen und zwei Drittel der ausschließlich im Minijob Beschäftigten. Seit 2008 hat diese Entwicklung besonders migrantische Arbeiterinnen getroffen. Ihr Anteil an Minijobs ist besonders stark gestiegen – mit fatalen Folgen für ihre eigenständige Existenzsicherung.

Die sich durch die deutsche Austeritätspolitik verfestigende soziale Ungleichheit geht also überwiegend auf Kosten von Frauen. So viel zur Erzählung des deutschen »Krisengewinners«. Doch Frauen geben sich mit der Rolle des Opfers vielerorts nicht zufrieden. Sie streiken für bessere Arbeitsbedingungen und mehr Personal in der Pflege, gehen auf die Straße für bessere Tarife in den Sozial- und Erziehungsberufen und setzen sich den von der Krisenpolitik der Regierung profitierenden Rechten entgegen – ob in der Flüchtlingssolidarität, auf den Demos gegen Gewalt an Frauen oder bei den Protesten gegen die Lebensschützer*innen. Frauen sind die natürlichen Feinde von Austerität und autoritärer Rechte. Und sie haben eine mächtige Waffe. Ohne ihre sichtbare und unsichtbare Arbeit würde keine einzige Ware mehr produziert werden.

»Wenn wir streiken, steht die Welt still«, war nicht umsonst das Motto des feministischen Streiks in Spanien dieses Jahr. Die Tätigkeiten von Frauen und damit das Leben ins Zentrum unserer Politik zu rücken, heißt nichts anderes, als an der Überwindung des Kapitalismus zu arbeiten. Die jetzt begonnene Organisierung eines Frauen*streiks am 8. März 2019 und darüber hinaus ist der nächste Schritt.

Zuerst veröffentlicht in der Zeitung neues deutschland, 01.11.2018